Buchbesprechungen
Wir veröffentlichen regelmäßig Rezensionen von Büchern und anderen Veröffentlichungen der Weinkultur und Weingeschichte. Wenn Sie Anregungen für Besprechungen haben, wenden Sie sich gerne an uns!
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Pfister, Christian und Wanner, Heinz: Klima und Gesellschaft in Europa. Haupt Verlag, Bern 2021, 424 Seiten. ISBN 978-3-258-08182-3 (E-Book 978-3-258-48182-1). Print-Version: 49,00 Euro, E-Book: 39,99 Euro.
Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf menschliche Kulturen werden in dem Buch von Vertretern zweier unterschiedlicher Wissenschaftskulturen untersucht und dargestellt. Einmal aus der Perspektive der Naturwissenschaften (Christian Pfister), insbesondere der Klimatologie, und zweitens aus dem Blickwinkel der Geistes- und Sozialwissenschaften, insbesondere der Umwelt-Geschichte (Heinz Wanner). Die beiden Wissenschaften verfolgen unterschiedliche Ziele, sie haben ihren eigenen Denkstil und verwenden unterschiedliche Darstellungsweisen. Naturwissenschaftler erklären, wie natürliche Systeme funktionieren, während Historiker Geschichten von Menschen erzählen, die sich mit den Auswirkungen von Witterung und Klima befassen. Das Buch ist als Synthese zwischen einem naturwissenschaftlichen und einem sozialwissenschaftlichen Ansatz konzipiert. Ein faszinierender Ansatz, wobei viele benutzte Beispiele aus beiden Sichtweisen es ermöglichen, das Verständnis für die Komplexität der Thematik Schritt für Schritt zu verbessern.
Die Darstellung ist in elf Kapitel gegliedert, die in Teilkapitel unterteilt sind, auf die Querverweise hinleiten. Einschübe unterbrechen den Faden der wissenschaftlichen Darstellung und bringen spezielle Themen mit persönlichen Bezügen ins Spiel. Das erhöht nicht nur das Verständnis, sondern auch den Lesespaß!
Hier kann nur auf einige Kapitel beispielhaft hingewiesen werden: Die Einführung (Kapitel 1) verdeutlicht die unterschiedlichen Perspektiven der Natur- und Geisteswissenschaften im Umgang mit der Klimafrage. Die bekannte Geschichte des Eismanns Ötzi in Kapitel 2 führt in die Klimageschichte des Holozäns ein. Die letzten 1.000 Jahre dieses Zeitabschnitts sind geprägt durch den Wechsel von kühleren und wärmeren Perioden, welche im 20. Jahrhundert in die anthropogen verursachte Erwärmung überleiten. Große Vulkanausbrüche in den Tropen beeinflussten sowohl das Klima als auch die Geschichte der Menschheit. Ein derartiger Vorgang wird in Kapitel 3 anhand des indonesischen Vulkans Tambora beschrieben, dessen Ausbruch 1815 die letzte große Hungersnot in West- und Mitteleuropa auslöste. Die Auswirkungen auf das globale Klimasystem und das regionale Klima und Wetter in Europa werden dargestellt.
Kapitel 4 und 5 widmen sich der Geburt der Klimawissenschaft und der Rekonstruktion des vergangenen Klimas aus Proxydaten, wie zum Beispiel Jahrringanalysen, Eisbohrkernen, Seesedimenten, Stalagmiten, Gletscher und Baumgrenzen. Hinzu kommt die Auswertung von Archiven der Klöster, Kirchen, Güter etc. wie Zehntabgaben, Entwicklung der Reben, Weinlesedaten etc. Der Witterung des Sommerhalbjahrs im Lichte des Weinbaus ist ein eigenes Unterkapitel gewidmet. Kapitel 6 beschreibt zunächst die räumliche Dynamik des heutigen Klimas in Europa. Danach wird, basierend auf Daten aus Archiven der Natur, die Entwicklung des Klimas während der letzten 1.000 Jahre skizziert. In den Kapiteln 7 und 8 werden die jahreszeitlichen Temperaturen in West- und Mitteleuropa bis zum Übergang zur markanten Erwärmung in den späten 1980er-Jahren beschrieben, wobei ein besonderes Augenmerk den Extremen gilt. Das Klima des Hochmittelalters von 1000 bis 1300 n. Chr. umfasste ein kaltes 12. Jahrhundert und ein anschließendes sommerwarmes 13. Jahrhundert. In Kapitel 8 wird die nordhemisphärische Kleine Eiszeit, die vom 14. bis ins frühe 20. Jahrhundert andauerte, beschrieben. All diese klimatischen Veränderungen schlugen sich auf die Entwicklung des Weinbaus und auf die Quantität und Qualität der Weinernten nieder. Das Kapitel 9 verlagert den Ausgangspunkt der Betrachtung vom Klima zur Bevölkerungsentwicklung, was bedeutet, dass neben Wetter und Klima Kriege und Epidemien als Einflussgrößen in den Blick genommen werden. Das Buch schließt mit einer Übersicht über das europäische Klima des letzten Jahrtausends und dem Übergang von der langsamen zur raschen Klimaerwärmung. Ein umfangreicher Anhang enthält detaillierte Quellenangaben, Literaturverzeichnis und ein kurzes, aber hilfreiches Stichwortverzeichnis.
Es ist ein imponierendes Buch, das die heutige dramatische Phase eines der großen Zukunftsprobleme unseres Planeten in den historischen Kontext stellt. Die 424 Seiten bieten dank der reichhaltigen Illustrationen mit 215 Abbildungen und Grafiken eine hochaktuelle und interessante sowie kurzweilige Lektüre. Wer das Glück hatte, den Vortrag von Prof. Pfister auf der Herbsttagung in Nierstein zu hören, wird mit der Lektüre des Buches Gehörtes vertiefen und viel Neues über die größte Herausforderung unserer Menschheit lernen, denn die Lösung der Klimaprobleme ist mehr als eine naturwissenschaftliche Herkulesarbeit, sie ist eine gesellschaftliche Mammutaufgabe, die mehr sozialen Sprengstoff enthält, als uns lange bewusst war.
Rudolf Nickenig, Remagen
Hans-Ulrich Grimm: Wein ist gesund. Wie er uns stärkt und glücklich macht. Knaur Verlag 2021. 208 Seiten, 20 Fotos und 30 Abbildungen, Hardcover. ISBN 978-3-426-65884-0. 18 Euro.
Der ehemalige Spiegel-Redakteur (von 1989 bis 1996) Hans-Urich Grimm ist für seine Berichte über industriell gefertigte Lebensmittel und die seiner Ansicht nach beschönigenden, bisweilen verschleiernden Taktiken ihres Marketings bekannt geworden. Grimm hatte in Heidelberg Germanistik, Geschichte, Erziehungswissenschaften studiert. Er betreibt den Online-Informationsdienst Dr. Watson Der Food Detektiv mit Sitz in Stuttgart. Der Service informiert rund um Lebensmittelindustrie sowie industrielle Lebensmittel und ihre Zusatzstoffe, auch in der Dr.Watson App. Er selbst bezeichnet die meisten seiner Bücher als „böse“. Über den Wein hat er dagegen „gut“ geschrieben.
Auf der Verlagsseite ist zu lesen: „Die wissenschaftlichen Beweise sind überwältigend: Wein hilft nicht nur gegen Viren und Bakterien, sondern auch gegen die großen Zivilisationskrankheiten, angefangen von Alzheimer über Herzleiden und Krebs bis hin zu Diabetes, und er hat einen positiven Anti-Aging-Effekt. Der Erfolgsautor Hans-Ulrich Grimm beschreibt die erstaunliche Wirkung, die Wein auf unsere Gesundheit ausübt. Wein war über Tausende von Jahren das wichtigste Medikament, oft sogar das einzige. Womöglich spielt er sogar eine tragende Rolle bei der Entwicklung der menschlichen Zivilisation, weil er die Menschen verbindet, die Kommunikation fördert.“
Hans-Ulrich Grimm vereint das Wissen um die kulturgeschichtliche Bedeutung des Weines mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und betont auch die genießerische Freude, mit der man etwas für seine Gesundheit tun kann. In einer spannenden Spurensuche vereint der Bestseller-Autor alle bekannten Fakten zu einem genussreichen Lesevergnügen.“
Dem werden viele Weinfreunde gerne zustimmen, wenn sie sich nicht kritisch mit dem Text auseinandersetzen. Wissenschaftler werden dagegen erhebliche Vorbehalte unter anderem wegen methodischer Mängel bei der Nutzung des Quellenmaterials vortragen.
Dr. Rudolf Nickenig, Remagen
Nickenig, Rudolf:
Wein ist Kult
Herausgeber: Deutsche Weinakademie, Bodenheim
Verlag Nünnerich-Asmus, Oppenheim 2020
184 Seiten.
ISBN 978-3-96176-113-5. 25 Euro
Die im Buch thematisierte gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit dem Thema „Kultstatus des Weines“ spannt einen weiten Bogen von der Betrachtung historischer Entwicklungen hin zu aktuellen wissenschaftlichen Bewertungen.
Zwischen den Polen des Agierens „alkoholkritischer Nichtregierungsorganisationen und für Alkoholprävention eintretender Wirtschaftsorganisationen“ eine Position zu finden, die als angemessen toleriert werden kann und zugleich die Freude am moderaten Weingenuss nicht verbaut, das ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Dem Wein im Dreieck „Heil-, Rausch- und Genussmittel“ den zutreffenden Platz zuzuweisen, ohne dabei einen der Eckpunkte überzubewerten, dem stellt sich Rudolf Nickenig passioniert und gewohnt souverän, basierend auf gründlicher Analyse und ausgewogener Berücksichtigung zahlreicher Quellen. Dabei kommt viel bislang Unbekanntes in den Fokus und dem Bekannten gibt der Autor häufig eine Wertung mit, die es relativiert oder verstärkt. Natürlich kommt ihm seine jahrzehntelange Beschäftigung mit der Materie zugute. Er meistert den Parcours mit Witz und gelegentlicher Ironie und bleibt dabei argumentativ bei einer Linie, die dem Leser keine absolute, dominierende Sicht aufzwingt, sondern vieles für eigene Interpretation und Bewertungen bereithält. Die Veröffentlichung wird wissenschaftlich getragen von Statements von Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirates der Deutschen Weinakademie (DWA) nämlich den Professores Flech, Rett und Worm ebenso wie von deren Wissenschaftlichen Leiterin Claudia Stein-Hammer. Auch neue und in Teilen überraschende Erkenntnisse aus einer Geisenheimer Kundenanalyse machen dieses von der DWA herausgegebene Buch aktuell und spannend.
Die Kapitel widmen sich den Themenbereichen Wein und Jugend, Frauen, Schwangerschaft, SeniorInnen, Speise, Verkehr, Sport, Arbeit und Tages- und Jahreszeiten. Der Autor bewertet, hinterfragt und versachlicht auf überzeugende und subtile Weise ohne der Gefahr zu unterliegen, einseitig Stellung zu beziehen. Aber natürlich ist er passioniert und den besonderen Wirkungen des Getränkes, das hier im Mittelpunkt steht, offen gegenüber. Das Buch bietet keine Grundlage für miesepetrige und extreme Positionen, sondern bereitet den Nährboden für „Wein in Moderation“, also verantwortungsbewusstem Genießen. Es ist ansprechend gestaltet und man nimmt es schon dank der zahlreichen Illustrationen und themenbezogenen Darstellungen gerne in die Hand.
Verfasser: Peter Fuchß
Aus: Mitteilung der GGW 2/2020