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Buchbesprechungen

Wir veröffentlichen regelmäßig Rezensionen von Büchern und anderen Veröffentlichungen der Weinkultur und Weingeschichte. Wenn Sie Anregungen für Besprechungen haben, wenden Sie sich gerne an uns!

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2025: Zwischen Reben und Rüben. Eine Geschichte von Trauben, Wein und fünf Generationen

Wagner, Andreas: Zwischen Reben und Rüben. Eine Geschichte von Trauben, Wein und fünf Generationen. 275 Seiten, 31 z. T. farb. Abb., gebunden. ISBN 978-3-8353-5822-5.
24,00 Euro (D) / 24,70 Euro (A).

Andreas Wagner, promovierter Historiker, Winzer und Schriftsteller, führt gemeinsam mit zwei Brüdern, Ehefrauen und Eltern das Familienweingut Wagner in Essenheim bei Mainz. In seinem neuesten Buch widmet sich der erfolgreiche Krimiautor der Geschichte seiner eigenen Vorfahren und des familiären Betriebs. Das ist aber bei weitem nicht alles.

Entlang dieser Erzählstruktur verbindet der Autor Genealogie und Wirtschaftsgeschichte mit den historischen Gegebenheiten in der Weinbauregion Rheinhessen. Der Blick über den eigenen Tellerrand auf Nachbarfamilien, das Dorf und darüber hinaus, ist allgegenwärtig. Das Buch darf als wissenschaftlicher Beitrag zur Agrargeschichte des ländlichen Raums im 19. und 20. Jahrhunderts wahrgenommen werden. Gleichzeitig ist es einfach spannend. Als Leser begleitet man die Geschicke der Familie vom Gemischtbetrieb der Landwirte und Weinbauern hin zum hochspezialisierten Weingut.

Die generationenübergreifende Perspektive eröffnet den Blick darauf, wie persönliche Entscheidungen die Handlungsspielräume der nachfolgenden Generationen verschiedentlich beeinflussten. Die Zugehörigkeit der Familie zur dörflichen Oberschicht – ein später von Historiker:innen konstruierter Status – und der Wunsch, diese reale, aber kaum greifbare Position im Dorf für die eigenen Kinder zu erhalten, setzte immer wieder die Rahmenbedingungen. Insbesondere sei hierbei auf Fragen im Zusammenhang mit der Heiratspolitik, dem familiären Stellenwert von Bildung und Ausbildung, Gelderwerb, Betriebsinvestitionen und -innovationen, Modernisierung und Traditionserhalt oder auch auf den gesellschaftlich damals durchaus erwarteten, wenn nicht sogar erforderlichen, repräsentativen Lebensstil hingewiesen.

Das Buch ist sicher keine klassische Ahnenforscher-Produktion und auch keine typische Firmengeschichte. Trotzdem vereint es beides und mehr. Man erhält vielseitige und abwechslungsreiche Einblicke in vergangene Tage, die spannend, mitunter auch humorvoll, stellenweise traurig, vorgetragen werden und zum Miterleben einladen. Der Schreibstil ist nicht der eines Sachbuchs, sondern erzählend und nimmt einen mit in die Vergangenheit. Gleichzeitig werden auch schwierige Themen – wie die Judenverfolgung oder der Einsatz von Kriegsgefangenen – nicht ausgeblendet, sondern immer auf einer sehr persönlichen Ebene ausführlich thematisiert. Etwas anderes wäre auch von diesem Autor mit Blick auf sein damaliges Promotionsthema „Machtergreifung in Sachsen. NSDAP und staatliche Verwaltung 1930 – 1935“ nicht zu erwarten gewesen. 

Mit einzelnen Vorfahren, wie „dem Jean“ oder „dem Geometer“ entwickelt man beim Lesen eine enge Verbindung, wie sonst nur mit den Hauptfiguren eines Romans. Als Belohnung für die oder den Lesenden steht schlussendlich das Gefühl, nicht nur die Familie und den Betrieb, sondern den Weinbau der letzten anderthalb Jahrhunderte und das innere Denken der früheren bäuerlichen Gesellschaft ein Stück besser zu verstehen. Ich bin sowohl vor als auch nach der Lektüre des Buchs als Besucher durch Essenheim spaziert und betrachte nun vieles in einem anderen Licht.

Der Autor schöpft für seine Untersuchung aus transkribierten Interviews mit Familienmitgliedern und zahlreichen gedruckten und ungedruckten Quellen, vor allem aber aus einem reichhaltigen Familienarchiv, das von den im Buch dargestellten Vorfahren stets bewahrt und erweitert wurde. Er selbst schreibt dazu: „In unserer Familie scheint sich über Generationen hinweg schon immer ein gewisser Respekt vor allem Niedergeschriebenen erhalten zu haben. Unsere Vorfahren haben gesammelt, aufgehoben und selten etwas weggeworfen.“ Das aufwendige Quellenstudium, welches hier geleistet wurde, tritt in nahezu jedem einzelnen Absatz des Buchs hervor. Es gelingt dabei der Spagat zwischen wissenschaftlich fundierter Arbeit und angenehmen Lesestoff. Eine Auswahl an historischen Fotografien und Originalschriftstücken, in denen man sich ebenfalls verlieren kann, wenn man will, und eine ansprechende klare Struktur runden das Lektüre-Erlebnis ab.

Simeon Guthier, Mainz

2025: Tödliches Gas – ein Weinkrimi

Hamatschek, Jochen: Tödliches Gas – ein Weinkrimi. Verlag BoD. Books on Demand GmbH 2024. 217 Seiten; ISBN 978-3-7597-7626-6. 10,99 Euro, E-Book 7,49 Euro.

Der vorliegende Weinkrimi ist mehr als nur ein Weinkrimi. Er führt den Leser auf der ersten Hälfte des Inhalts präzise, verständlich und anschaulich in die Herstellung des Weines, in Weinbereitung, sehr ausführlich in die Weinansprache, Weinfehler, weinrechtliche Fragen und Weinmarketing ein. Das kann nur das Werk eines Spezialisten sein, der alle Feinheiten seines Metiers beherrscht und hier weitergibt.

Der Inhalt des Weinkrimis wird zunächst von Themen der Weinherstellung dominiert, garniert mit mehreren Suiziden, die man zunächst nicht in einem Zusammenhang wähnt. Dadurch und mit immer neuen Vermutungen gelingt es dem Autor, Spannung zu erzeugen und zu erhalten. Erst im letzten, dem 22. Kapitel erfolgt die so nicht erwartete Auflösung. 

Der junge Chemiker Daniel, der in einem großen Industrieunternehmen angestellt ist und der vor kurzem seine Frau Kristina, eine junge Germanistin, geheiratet hat, ist traumatisiert vom Selbstmord seiner Frau. Er zieht für eine Übergangszeit in das vor kurzem gekaufte väterliche Schloss-Weingut in Neustadt, um den Vater, der auch noch weitere Interessen hat, zu unterstützen. Dort trifft er auf zwei Personen, die sein weiteres Leben verändern: den kleinwüchsigen, aber sehr versierten Küfer Perkeo, der ihn in die Feinheiten der Weinherstellung und Weinansprache einweiht, und nach einiger Zeit auch auf die IT-affine, flippige Mediendesignerin Essie. Sein Vater hatte ihr den Auftrag erteilt, einen modernen betrieblichen Auftritt, ein neues Design für das Schloss Weingut zu entwickeln. Im Laufe dieses Jahres hört er immer wieder von Selbstmorden in dem Germanistinnen-Milieu, in dem auch seine Frau gelebt hat. Er beauftragt schließlich einen befreundeten Fußballkameraden, der als Kriminalist arbeitet, sowie Essie, mit der er sich inzwischen angefreundet hat, weiter zu recherchieren. Dadurch kommen sie schließlich einem schrecklichen Geheimnis auf die Spur, das sie jedoch auch in tödliche Gefahr bringt.

Gerhard Stumm, Bad Kreuznach 

2025: The World of Wine. (Part 4)

Pena, Camilo/Almila, Anna-Maria und Inglis, David/Ly, Pierre und Howson Cynthia: The World of Wine. (Part 4). In: Joy, Annamma (Hrsg.): „Sustainability in Art, Fashion and Wine; critical Perspectives“. 324 Seiten (Part 4: S. 261 – 309). Engl. Walter de Gruyter GmbH Berlin/Boston 2024. ISBN 978-3-11-078389-6. E-Book und broschiert:
54,95 Euro. 

Nachhaltigkeit ist das derzeitige Schlagwort, das von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft auf praktisch allen Ebenen und Bereichen diskutiert und nachgefragt wird. „Nicht mehr ausgeben, als hereinkommt, von den Zinsen leben, ohne das Kapital anzugreifen oder: die Ressourcen der Erde nicht überlasten“ sind gängige Erläuterungen dieses Begriffes. Erstmals geprägt wurde er von Freiherr Hans Carl von Carlowitz bereits im Jahre 1713, als er realisierte, was mit Wäldern geschieht, wenn mehr Bäume gefällt werden, als nachwachsen können.

Das vorliegende Buch widmet sich nach einer Einleitung durch die Herausgeberin in drei längeren Teilen der Welt der Kunst, der Mode und des Weines. Dass Mode Nachholbedarf an Nachhaltigkeit hat, lässt sich durch Zahlen belegen: von etwa 400 Mio. Tonnen Kunststoffen, die im Jahr weltweit produziert werden, entfallen 80 Mio. auf Kunststoffe in Kleidern, Verpackungen sind es demnach nicht allein. Derartige Informationen finden sich in dem soziologisch-politisch ausgerichteten Buch leider nicht. Stattdessen wird in einem einführenden Teil die Welt dieser drei Bereiche eingeordnet: sie ist geprägt durch einen neo-liberalen Rahmen und soziale Gerechtigkeit. Für Mitglieder der GGW dürfte vor allem der Abschnitt über die Welt des Weines interessant sein, der nachfolgend besprochen wird. 

Teil 4 „Die Welt des Weines“ gliedert sich in drei Kapitel. „Nachhaltigkeitsvergleich bei konventioneller, organischer oder natürlicher Weinbereitung“, „Geschlechterspezifische Dynamik in der Umwandlung von Wein in Kunst“ und „Der Aufstieg chinesischer Edelweine durch institutionalisierte Innovationen: Ausländische Partnerschaften, einheimische Entrepreneurs und Hemmnisse aufgrund von Nachhaltigkeit“. 

Das erste Kapitel, verfasst von Camilo Pena (Okanagan Valley, Canada), ist interessant für Technologen. Der Autor, Master in Sustainable Development und promoviert in Industrial Studies, vergleicht anhand mehrerer Kriterien in Form einer Tabelle (Ökosystem-Management, Boden, Energie- und Wassermanagement, Zusätze, Pflanzenschutz oder Weinausbau, soziale Aspekte) konventionell erzeugte Weine mit Bio-Weinen und Naturweinen. Der konventionelle Weinausbau, in Deutschland rund 85 Prozent aller Weine, besitzt Freiheiten im Pflanzenschutz und in der Kellerwirtschaft, die den beiden anderen Bereichen nicht zur Verfügung stehen. Deren Risiken sind im Jahr 2024 wieder besonders deutlich geworden, Peronospara hat schlimme Schneisen geschlagen. Zwischen dem Bio- und Naturweinausbau sind die Unterschiede eher gering. Diskutiert wird über die zulässige Menge an SO2 und einzelne Kellerbehandlungsmittel. Sog. Naturweine besitzen in Deutschland einen Marktanteil von rund einem Prozent, sie werden häufig in Quevris hergestellt und als Orange Weine angeboten. In der Denkweise des Autors ist es umso nachhaltiger, je weniger Behandlungsmittel eingesetzt werden. Als Rezensent würde ich Nachhaltigkeit eher in Richtung Kreislaufwirtschaft verstehen. Was geschieht mit dem Trester, was mit der Hefe oder dem sonstigen Trub? Deponie oder Rückführung als Dünger bzw. Weiterverarbeitung zu anderen Wertstoffen.

Im zweiten Kapitel von Anna Mari Almeda (Rom) und David Inglis (Helsinki) wird ein spannender englischer Begriff verwendet: Artifying Wine. Mit dessen korrekter Übersetzung tun sich auch Lexika schwer. Gemeint ist der Prozess vom Nicht-Kunstwerk zum Kunstwerk, vielleicht ist der Begriff „Künstlerisierung“ zulässig. Diese Entwicklung soll die Winemaker betreffen und die Etiketten auf den Flaschen. Alles im Kontext der Gender-Diskussion, denn Wein (und auch Kunst) war in der Vergangenheit patriarchalisch ausgerichtet. Beide sind nach Ansicht des Rezensenten allerdings eindeutig auf dem Weg der Veränderung. Die Autoren sehen dagegen weiterhin Defizite. 

In dem Artifying-Prozess sollen Künstler und Winemaker im Zusammenhang gesehen werden. Künstleretiketten gibt es ja nicht erst seit oder bei Mouton-Rothschild. Bei vielen Betrieben gehören sie zum grundlegenden Marketing, um sich abzuheben von der Masse und identitätsbildend zu wirken. Auch die Weinherstellung soll ein Kunstwerk sein. In der Tat ist es für die meisten Produzenten ein Handwerk, in Großbetrieben mit aufwendiger Technologie durchgeführt. Besonders Weinjournalisten und Weinkritiker verwenden gerne den Begriff des Künstlers im Zusammenhang mit dem Winemaker, der seinen Wein interpretiert wie ein Maler sein Gemälde und ihn so quasi adelt. Der Artikel ist von Autoren geschrieben, die kultursoziologisch unterwegs sind. 

Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit Weinbau in China. Autoren sind Pierre Ly (USA) und Cynthia Howson (USA). Pierre Ly ist Professor für „International Political Economy (IPE)“ an der University of Puget Sound. Cynthia Howson ist Teaching Professor of Ethnic, Gender, and Labor Studies an der University of Washington. Berichtet wird über Erkenntnisse, die die Autoren zwischen 2013 und 2018 in China gewonnen haben. Sie sehen chinesische Weinproduzenten in einem harten Kampf gegen Vorurteile chinesischem Wein und China gegenüber, wegen widersprüchlicher Regulierungen der Bewässerung, geistigem Eigentum und nicht zuletzt sozialer Probleme um Klassen, Geschlechter, Ethnien und Sozialkapital. Vor allem das knappe Gut Wasser stellt viele Betriebe vor große Probleme (je Hektar Rebfläche sind 3.900 Tonnen Wasser nötig). Viele Herausforderungen sind vielfach mit Bastelei und Herumprobieren praktisch gelöst worden. 

In den letzten Jahren hat die Reputation von chinesischem Wein deutlich zugenommen, auch wenn es keine Zusammenarbeit mit berühmten Weinmarken in der restlichen Welt gab. Drei der bekanntesten Betriebe werden von Frauen geführt, was in der Werbung stark ausgeschlachtet wird. Große ausländische Weinunternehmen haben sich wegen des im Prinzip gigantischen Marktes nach China orientiert. Neben dem Export von in der Regel teuren Weinen gab es auch mehrere Partnerschaften, die allerdings politisch eingeschränkt waren. Der Begriff Nachhaltigkeit taucht in dem Artikel allerdings unter, bei aufstrebenden Strukturen stehen andere Schwerpunkte im Vordergrund. 

Dann kam Corona. Auch erfolgreiche Unternehmen, nicht zuletzt in Zusammenarbeit mit ausländischen Investoren und Fachleuten, haben durch die Pandemie schwer gelitten. Insgesamt ist die Situation des chinesischen Weinbaus seitdem noch volatiler und noch unvorhersehbarer. Angesichts extrem niedriger Temperaturen im Winter und all der Risiken wird chinesischer Wein im Gegensatz zu Solaranlagen oder Stahl kein Billigprodukt sein können, welches die europäischen Märkte überschwemmt.

Die Autoren sind durchgängig Wissenschaftler an Hochschulen und bringen einen eher theoretischen internationalen Blickwinkel mit, der etwas abseits des deutschen Weinverständnisses liegt. Er kann dadurch für diejenigen sehr spannend sein kann, die bereit sind, sich durch entsprechende sozio-kulturellen Fachbegriffe zu wühlen. Ein Naturwissenschaftler wie der Rezensent vermisst in dem Buch Graphiken, Zahlen und harte Fakten. Das Buch sucht eine andere Klientel als den praktizierenden Winemaker auch mit Geisenheimer oder Neustadter Hintergrund.

Jochen Hamatschek, Landau

2025: Reiner Wein. Philosophie zum Einschenken

Grätzel, Stephan/ Rehm-Grätzel, Patricia: Reiner Wein. Philosophie zum Einschenken. Verlag Königshausen & Neumann Würzburg 2022. 138 Seiten, kartoniert; ISBN: 978-3-8260-7583-4. 17,80 Euro.

Stephan Grätzel ist emeritierter Professor für Philosophie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Patricia Rehm-Grätzel, Docteur des Lettres an der Université de Bourgogne, Dijon, lehrte am Département d’allemand der Université de Bourgogne, an der School of Humanities am Waterford Institute of Technology, Irland, und am Philosophischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Derzeit arbeitet sie als Lehrerin für Deutsch und Französisch am Bischöf­lichen Willigis-Gymnasium Mainz.

Dem Autorenpaar gelingt es, bereits im Vorwort nicht nur Spannung und mit einem ansprechenden Sprachstil Vorfreude für den Hauptteil aufzubauen, sondern auch die Wahl des Buchtitels ernsthaft und doch vergnüglich zu erklären. Im ersten Kapitel wird die spirituelle Verbindung von Philosophie und Wein behandelt. Die Begegnung mit der Philosophie des Weines von Béla Hamvas macht Lust darauf, mehr über ihn und seine Philosophie zu erfahren. Seine Betrachtungen sind für die Autoren grundlegend und werden im weiteren Verlauf des Buches immer wieder aufgegriffen. Im zweiten Kapitel werden die Reflexionen des Weins, seine Widerspiegelungen der Wahrheit im Leben und Bewusstsein aufgefächert. Hierbei geht es zunächst um die Sinnlichkeit des Weins. Der Wein wird aber auch als Träger von Erinnerungen behandelt. Damit kommen die Autoren zu den Grundfragen des Denkens, der Suche nach dem Grund des Lebens und seinem Sinn. In diesem Kapitel wird gezeigt, warum der Wein in unserer Kultur einen so hohen Stellenwert bekommen konnte. Um ihn und seine Bedeutung ganz zu verstehen, reicht die Betrachtung der Sinnlichkeit, der fünf Sinne nicht aus, sondern es ist – nach Auffassung des Autorenduos – eine Verbindung zum Übersinnlichen erforderlich. Im dritten Kapitel legen sie dar, wie Wein mythologisch, religiös, literarisch und ganz alltäglich gefeiert wurde und wird. Sie stellen den Wein als Protagonisten der Wahrheit auf der Bühne des Lebens dar.

Wem soll ich dieses Buch empfehlen? Ich kann es allen Leserinnen und Lesern ans Herz legen, die bereit sind, die traditionellen Pfade naturwissenschaftlicher und önologischer Weinvorstellungen zu verlassen. Das Autorenpaar nennt das, „Wein neu zu denken“. Hierauf komme ich nochmals zurück. Das Buch ist aber auch deshalb empfehlenswert, weil es in den Kapiteln immer wieder überraschende Gedankenzusammenhänge anbietet, die neugierig machen, über die es sich lohnt nachzudenken oder sich weitere Informationen einzuholen. 

Bemerkungen wie „Die Wende vom Selbstverständlichen zum Staunenswertesten ist der Ursprung der Philosophie“ schärfen die Aufmerksamkeit beim Lesen. So auch das nachfolgende Beispiel: „Der Wein teilt also das Schicksal mit dem Geist, auf einen bestimmten Stoff reduziert zu werden: der Wein auf Alkohol, der Geist auf Gehirn. Dabei sind diese sogenannten Stoffe noch nicht einmal ausschlaggebend für das, was sie auch rein stofflich sind: Wein ist kein Alkohol, sondern ein Genuss und Lebensmittel, Geist ist kein Gehirn, sondern der Umgang mit anderen, mit der Natur, auch mit sich selbst.“ Ja, ein Gedankengang, der in der alkoholpolitischen Diskussion von höchster Aktualität ist. Wer mit dem ungarischen Philosophen Béla Hamvas (1897 – 1968) bisher nicht viel anfangen konnte, der wird mit dessen Philosophie des Weins, die in dem Buch eine große Rolle spielt, viel Freude haben. Ein Beispiel: „Die Sinnlichkeit der Welt und der Genuss des Lebens kommen beim Trinken am besten zur Geltung.“ Die Autoren verweisen darauf, dass sich hierbei Hamvas vor allem für den Wein interessiert, „aber nicht nur wegen seiner Qualität, sondern vor allem deshalb, weil er für ihn ‘wie ein flüssiger Kuss’ ist.“ Darüberhinaus gibt Hamvas dem Wein die bedeutende Rolle einer allgemeinen und universalen Stellvertretung des Lebens. 

Die Lesefreude wird erhöht durch Passagen wie: die Kneipe gehört „zu den wichtigsten Einrichtungen unserer Zivilisation, denn an diesem Ort werden Wunden geheilt, die dem Menschen in der Öffentlichkeit und durch die Regierung geschlagen werden. [...] Die Kneipe wird hier nicht als der Ort des einsamen Versinkens inmitten vieler Isolierter verstanden und der Wein wird auch nicht nur als ein Getränk oder eine Art Alkohol verstanden, mit dem man sich betäubt. Vielmehr treffen sich hier die Gleichgesinnten, die gemeinsam den Genuss des Lebens feiern.“ 

In dem Kapitel Wein und Maske gibt es Passagen, die beim Rezensenten doch Zweifel haben aufkommen lassen, ob die Philosophie des ungarischen Philosophen mit seiner Verherrlichung des Rausches, um zur Erleuchtung und damit paradoxerweise „zu einer höheren Nüchternheit“ zu kommen, uns in der heutigen gesellschaftlichen Diskussion Hilfestellung bieten kann. Es gibt auch andere Aussagen in weiteren Kapiteln, denen der Rezensent nicht zustimmen würde, aber sie bieten Gesprächsstoff mit anderen Perspektiven und einem anderen Zugang zur Weinkultur und zur Weinphilosophie. Die Diskussion über ein neues Verständnis von Kultur und Natur wird ebenso aufgegriffen wie die Gratwanderung der Weinbranche auf den Narrativen von Weinphilosophen und der Marketingexperten. In den Kapiteln über die Reflexionen des Weines, bei den Unterkapiteln Poesie des Weines, Architektur des Weins etc. habe ich oft ein Ausrufe- oder auch Fragezeichen (wenn es z. B. um die Heilkräfte geht) an den Rand gesetzt, natürlich nur mit dem Bleistift, zum späteren Wegradieren, denn das Buch soll rein bleiben.  

Meine Leseempfehlung wird nicht dadurch gemindert, wenn ich zum Schluss auf eine Passage zurückkomme, der ich nicht zustimmen kann oder von der ich mehr oder eine andere Weiterführung erwartet hätte: „Wein zu denken oder auch neu zu denken bedeutet, ihn auch zu einem Erlebnis werden zu lassen, bei dem die gesamte sinnliche, leibliche und geistig geistliche Symbolik wieder eingebracht wird. D. h. aber auch, den Wein auf alte und wahrscheinliche Weise zu denken. Das neu ist auch eine Rückkehr zur kultischen Bedeutung des Weines und seiner Heiligkeit.“ Auch ich bin der Meinung, dass wir Weinkultur neu denken müssen, aber meines Erachtens nicht mit einem Zurück zur kultischen Bedeutung alter Zeiten. Ich hoffe zumindest nicht, dass der Lebensstil und die Weinkultur der Zukunft kultische Züge einer Vergangenheit tragen, die auch von berauschten Männern und von benachteiligten Frauen geprägt war. Anders gewendet: In einer Zeit, in der uns geradezu fundamentalistische Alkoholgegner unter Berufung auf WHO und DGE die Mär verbreiten, dass bereits der erste Tropfen Wein in jedem Fall gesundheitsschädlich sei, ist das Eintreten für einen aktuellen Weinkulturdiskurs äußerst verdienstvoll. Dem Buch wünsche ich viele Leserinnen und Leser, die bereit sind, Weinkultur neu zu denken und zukunftsweisend zu gestalten. 

Rudolf Nickenig, Remagen 

2025: Le goût des vins d’origine : Genèse, construction et triomphe des AOC au XXe siècle

Jacquet, Olivier : Le goût des vins d’origine : Genèse, construction et triomphe des AOC au XXe siècle. Editions Universitaires Dijon, 2024, 436 Seiten.

In seinem neuen Buch „Der Geschmack von Herkunftsweinen: Entstehung, Konstruktion und Triumph der AOC im 20. Jahrhundert“ analysiert Olivier Jacquet die Geschichte der kontrollierten Herkunftsbezeichnungen französischer Weine. 1919 als rein räum­liche Abgrenzung erdacht, um das Recht an einem geographischen Namen den örtlichen Winzerverbänden zuzusprechen, werden sie bis 1935 durch die Festlegung von Produktionsbedingungen (Rebsorte, zulässiger Ertrag) zur Voraussetzung für die Verbindung des agronomischen Begriffs „Terroir“ mit einer hierarchischen Qualitätsvorstellung. Jacquet beschreibt das Zusammenspiel bei der Definition der AOC-Weine, ihrer Analyse, der Regelung der Praktiken und der Berufsausbildung zwischen verschiedenen Akteuren: öffentlichen Institutionen, Wissenschaftlern, Erzeugern und Berufsverbänden. Wie schwierig es in dieser Aufbauphase war, Qualität zu definieren, messbar und damit objektiv nachvollziehbar zu machen, zeigen die Fragen des Alkoholgehalts und der flüchtigen Säure. Der Autor stellt diese Bemühungen in den Kontext der allgemeinen Professionalisierung von Landwirtschaft und Weinbau, aber auch der Vorarbeiten europäischer Gesetzgebung. Ein Beispiel dafür ist die Formalisierung des bis dahin eher vagen Begriffs „Terroir“ im Hinblick auf dessen Einbringung in den Prozess der europäischen Harmonisierung.

Im dritten Teil zeigt der Autor, wie eine neue, standardisierte Form der Weinverkostung auf der Basis von Aromen die bisherige „technische“ Weinprobe ersetzte und dazu dienen sollte, Weine mit kontrollierter Herkunft untereinander, aber auch von Weinen ohne AOC zu unterscheiden. Dazu musste die Weinprobe als Teil eines offiziellen Kontrollverfahrens anerkannt werden, was in Frankreich erst im Zuge der europäischen Regelungen und auf Wunsch der deutschen Delegation erfolgte.

Neben Quellen aus dem Bereich der Verbände und Institutionen wie dem Nationalen Institut der Appellationen (INAO) oder der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV) kommt auch die Revue du Vin de France zu Wort, die wiederum in vielerlei Hinsicht mit den Institutionen verbunden war. Die Stimme der Weinerzeuger selbst wird außerhalb ihrer Berufsverbände nicht berücksichtigt. Dass damit wichtige Entwicklungen wie der Aufschwung der Gutsabfüllung oder des biologischen Anbaus kaum Erwähnung finden, liegt an der selbst gewählten Beschränkung des Themas. 

Die Publikation besticht durch ihren Detailreichtum, die zahlreichen Quellenangaben und das umfangreiche Literaturverzeichnis. Sie bildet den Auftakt einer Weingeschichte des 20. Jahrhunderts aus einer europäischen Perspektive und eine wertvolle und unverzichtbare Grundlage für weitere Forschungen. Olivier Jacquet ist promovierter Historiker und Leiter des UNESCO-Lehrstuhls „Kultur und Tradition des Weinbaus und des Weins“ an der Université de Bourgogne in Dijon.

Karoline Knoth, Meursault

  1. 2025: Der Karthäuserhof in Eitelsbach. Die Geschichte eines Weinguts
  2. 2024: Konsortium Südtirolwein: Wein in Südtirol – Geschichte und Gegenwart eines besonderen Weinlandes
  3. 2024: Die vernakuläre Weinarchitektur Österreichs
  4. 2024: Das Deutsche Weinbaujahrbuch 2024

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