Buchbesprechungen
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Theodor Häußler:
Die Rebenbeobachtungs- und Quarantänestation in Regensburg-Oberwinzer.
Hrsg.: Förderverein BaierWeinMuseum, Bach a. d. Donau 2016. 36 Seiten mit Abb.
Schriftenreihe "BaierWeinMuseum", Nr. 19. EUR 5,-
Bezug über das BaierWeinMuseum
Die heute auf wenige Hektar geschrumpfte Rebfläche in der Regensburger Region leistete vor gut 100 Jahren einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der aus Nordamerika eingeschleppten Reblaus und der durch die Pilzkrankheiten entstandenen Probleme. Die hier bestockten Rebflächen waren und blieben reblausfrei – ein im Jahre 1904 eigens aufgebauter Reblausüberwachungs-Apparat wurde nach kurzer Zeit wieder aufgelöst bzw. es wurden ihm andere Aufgaben zugeordnet. Denn nicht in der Reblaus lag
die Bedrohung für den Donauwein, sondern durch den Echten und Falschen Mehltau waren die Ernten zunehmend gefährdet.
Die Reblausfreiheit der bestockten Rebflächen war die Ursache für die Entscheidung, in Oberwinzer eine Rebenquarantänestation zur Heranzucht von Unterlagen und Europäerreben einzurichten. Neben umfangreichen Muttergärten kamen insbesondere die Rebsorten Müller-Thurgau und Gutedel zur Anpflanzung.
Die Zuchtstämme wurden hier geprüft und beobachtet. Viele hochrangige Persönlichkeiten kamen so nach Oberwinzer, unter anderem auch Geheimrat Dr. Friedrich von Bassermann-Jordan.
Ende der Neunzehnhundertzwanziger Jahre wird die Station in Oberwinzer überflüssig, da in allen Weinbaugebieten entsprechende Einrichtungen geschaffen waren. Die Weinberge wurden zunächst an Privatwinzer verpachtet und 1941 schließlich verkauft.
Verfasser: Dr. Gerhard Stumm, Bad Kreuznach
Aus: Mitteilung der GGW 2/2016
Ralf Frenzel (Hrsg.):
Bürgerspital Würzburg.
Tre Torri Verlag, Wiesbaden 2016. 224 Seiten.
ISBN 978-3-944628-87-5. EUR 49,90
Die zum 700-jährigen Bestehen des Bürgerspitals zum Heiligen Geist in Würzburg erschienene, opulent bebilderte Festschrift haben der am Staatsarchiv Wertheim tätige Historiker Robert Meier und die Journalisten Daniel Deckers, Rainer Schäfer und Michael Schmidt verfasst. Ein Beitrag, der sich mit den Baulichkeiten der Bürgerspitalstiftung befasst, stammt von dem Architekturkritiker Gerwin Zohlen. Die Texte sind durchweg kenntnisreich und auf solider Grundlage geschrieben und informieren umfassend über die wechselvolle Geschichte zum einen des Spitals, zum anderen des zu ihm gehörenden renommierten Weinguts. Allerdings fallen gewisse Redundanzen und Wiederholungen auf. Am deutlichsten sind sie zwischen dem Beitrag „Würzburg und der Stein“ und den von Meier und Deckers geschriebenen Teilen (vgl. das S. 190 Gesagte mit S. 17 f., 99, 102 f., und 109); aber vielleicht ist dieser Abschnitt auch als Zusammenfassung des Buches gedacht.
Mit voller Berechtigung wird von Deckers, der inzwischen so etwas wie der Haushistoriker des Verbands der Deutschen Prädikatsweingüter (VDP) geworden ist, in seinem mitunter recht weit ausholenden Teil über die Geschichte des Weinguts herausgestellt, dass das Bürgerspital im Jahre 1718 zum Ursprung der Originalabfüllung (in versiegelten Bocksbeutelflaschen) wurde. Auch ist seine Beobachtung interessant, dass der eigentliche Wegbereiter des Qualitätsanbaus in Franken nicht Sebastian Englerth (1804-1880) gewesen sei, sondern der eine Generation ältere Peter Ungemach (1786-1852), dem das Bürgerspital samt seinem Weingut von 1825 bis 1851 unterstand (S. 111).
Allgemein sehr ordentlich gestaltet und lektoriert, fallen hingegen bei vollständiger Lektüre doch einige Details auf, die unstimmig sind oder fragen lassen, ob den Autoren die von ihnen geschriebenen Beiträge wechselseitig bekannt waren. Im Vorwort liest man, „die Kombination aus einer Stiftung, deren Zweck die Betreuung und Pflege älterer Menschen ist, und einem Weingut“ sei „einzigartig“. Es war aber gerade das Bürgerspital, von dem im Jahre 1994 der Impuls ausging, der zur Gründung „Vereinigung der Europäischen Stiftungsweingüter e.V.“ führte, die derzeit 16 vergleichbare Stiftungen umfasst (und in Frankreich gibt es deren noch weitere, fast dreißig an der Zahl). Ein Hinweis darauf fehlt im Buch. S. 30 findet sich ganzseitig die Reproduktion einer Handschrift, die in einer Initiale einen „Bocksbeutel von 1726“ zeigen soll. Leider ermangelt es an weiteren Angaben zu dieser Handschrift; auch im Abbildungsverzeichnis erhält man keine weiteren Hinweise. S. 90 taucht ein „Bauingenieur Julius Echter“ auf; der Fürstbischof diesen Namens (1545 – 1617) war ein gestrenger Herr, er hat viel gebaut – aber er hatte dafür seine Ingenieure. S. 108 findet sich ein Hinweis darauf, dass der Ebracher Abt Alberich Degen den Silvaner im Würzburger Stein hat pflanzen lassen (weshalb die Lage Stein den Anspruch erheben kann, eine der beiden Wiegen des Silvaners in Franken zu sein; das hätte man im entsprechenden Teil über den Lagenbesitz des Bürgerspitals durchaus herausstellen können); als Beleg dafür wird angegeben „vgl. Dohna 2015“. Eine solche Veröffentlichung wird im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt und ist dem Rezensenten unbekannt (vgl. aber Schriften zur Weingeschichte 185, Wiesbaden 2014). S. 109 liest man, das Bürgerspital werde „fälschlicherweise als katholisch“ bezeichnet, doch noch die Satzung von 1954 bestimmte in § 1: „Die Stiftung Bürgerspital zum Heiligen Geist ist eine katholische Wohltätigkeitsstiftung“ (S. 51). S. 133 wird angegeben, ein 1920er Würzburger Neuberg aus dem Bürgerspital habe bei dem Wiesbadener Weinhändler Ruthe 1926 „drei Mark“ gekostet. Die unmittelbar daneben S. 132 reproduzierte Preisliste weist für den Wein 3,50 Mark pro Flasche aus. Nicht wenig mehr um diese Zeit. Die im Buch abgebildeten und ausgewerteten historischen Weinkarten und Preislisten stammen alle aus dem „Archiv VDP, Mainz“; die von unserer Gesellschaft digitalisierte und im Internet zugängliche „Sammlung Rauscher“ mit zahlreichen anderen alten Weinkarten und Preislisten blieb leider unberücksichtigt. S. 160 f wird behauptet, der jetzige Betriebsleiter des Bürgerspitalweinguts sei hinsichtlich des Bockbeutels ein „Traditionalist“; wie immer man darüber denkt: S. 198 und 201 f. sind die Weine, die er inzwischen (seit 2011) in Schlegelflaschen hat abfüllen lassen, abgebildet. S. 166 bzw. S. 180 liest man, dass die drei großen Eigentümer im Würzburger Stein „bei der Europäischen Union“ den Antrag gestellt haben, ein Teilstück dieser Lage, den „Stein-Berg“, als „geografische Ursprungsbezeichnung“ anzuerkennen. Der Antrag auf eine „geschützte geografische Ursprungsbezeichnung“ (g.g.U.) ist freilich bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) in Bonn zu stellen. „Mild und lieblich“ bedeutete 1925 bei Weinen, wie der Text auf S. 201 meint, sicher nicht den Gegensatz zu trocken, sondern eine milde Säure („ohne alle Rauheit“) in trockenen Weinen. Störend ist insgesamt, dass im Unterschied zum Beitrag von Meier (wo es Endnoten gibt) im Beitrag von Deckers die Nachweise aus der Literatur im laufenden Text sich befinden.
All dieses sind aber letztlich Petitessen. Sie schmälern nicht den Informationsgehalt und das Lesevergnügen an dem Buch, das dort, wo es um Personenportraits geht, auch recht lebendig geschrieben ist. Wenige Weingüter in Deutschland können Vergleichbares aufweisen (Schloss Johannisberg, 2001; Gut Hermannsberg, 2012).
Wenn man jedoch S. 146 zu Ende dieses Beitrags ein Zitat aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von 1983 liest: „Das Weingut steht als Lieferant hochwertiger Weine in der vorderen Reihe des deutschen Weinbaus. Der Direktor der Stiftung Bürgerspital zum Heiligen Geist, Heinz Zeller, und der Weingut-Oberamtsrat Rudolf Frieß wachen darüber, dass die Bürgerspitalweine bleiben, was sie seit langem sind: sortentypisch ausgebaute, körperreiche und charaktervolle Frankenweine der besten Art“, und dazu die Schlussbemerkung von Deckers: „Die Namen haben sich geändert, das Urteil bleibt“, auf der nächsten Textseite (S. 153, dazwischen nur Abbildungen) im Beitrag von Schäfer aber dann, 2007 habe das „allgemeine Urteil“ gelautet, das Bürgerspital gälte in der Branche als „schwerfällig und wenig zielstrebig, aus besten Möglichkeiten werde zu wenig gemacht“, dann reibt man sich doch verwundert die Augen über den damit angedeuteten Qualitätsverfall innerhalb von etwa 25 Jahren. Wird hier nicht zu dick aufgetragen?
Gewiss, es spielen betriebswirtschaftliche Faktoren in jüngster Zeit eine größere und auch die ihnen zukommende Rolle. Der jetzige Betriebsleiter selbst betont freilich mehr die Kontinuität als die von den „Kennern“ (S. 153) postulierte Epochengrenze und sagt: „Unsere heutigen Erfolge sind aber nur deshalb möglich, weil sie auf den außerordentlichen Leistungen der früheren Weingutsdirektoren (…) aufbauen können.“ (S. 163) Das ist nicht nur reine Freundlichkeit gegenüber den Vorgängern. Was diese Leistungen waren, ist denn auch in den anderen Beiträgen des Buches nachzulesen: Erstmals im deutschen Weinbau wurde in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts im Weingut des Bürgerspitals erhoben, für welche Arbeitsgänge welcher zeitliche Aufwand zu kalkulieren ist (S. 142). Ein ganz entscheidender Schritt betriebswirtschaftlicher Art. In den frühen siebziger Jahren war das Bürgerspital einer der ersten deutschen Betriebe, welcher in seinen Neuanlagen mit der engen Bestockung begann, womit nicht nur, wie bei Deckers S. 145 zu lesen, die Stockbelastung geringer gehalten werden kann und der Düngerbedarf sich verringert. Eng gepflanzte Reben stehen in Nahrungsmittelkonkurrenz und produzieren weniger, aber extraktreichere Trauben; außerdem ist die Holzreife besser. Für die heute erwünschte Weinqualität ist das unerlässlich. Eine weitere wichtige Voraussetzung waren die 1982 bis 1984 getätigten und baulich sehr geglückten Investitionen in die Kelleranlagen; sie werden durch Zohlen S. 69 beschrieben. Es fragt sich angesichts des harschen und m.E. oberflächlichen Urteils über den Beginn einer „neuen Zeitrechnung“ seit 2007, ob sich der Autor genügend mit der jüngeren Geschichte des Weinguts befasst hat. Und so stellt man das schöne Buch doch etwas ernüchtert ins Bücherregal. Was die Geschichte der letzten Jahrzehnte anbelangt, ist es keine Glanzleistung historischer Objektivität.
Verfasser: Prof. Dr. Hans Reinhard Seeliger, Rottenburg
Aus: Mitteilung der GGW 3/2016, S. 32-34
Karl-Heinz Frackenpohl:
Der Reifeverlauf von trockenen und halbtrockenen Rieslingweinen in Abhängigkeit von Stil und Qualität.
3. Auflage, BoD – Books on Demand 2016. 60 Seiten.
ISBN 978-3-7412-3224-4. EUR 11,90
Über die Alterung von Weinen, speziell von deutschen Weißweinen, wird wenig geforscht. Die Gründe dafür sind vielfältig: Gereifte Weißweine stellen zum einen ein kaum bezifferbares Marktsegment dar, sie sind reine Liebhaberobjekte. Im Unterschied etwa zu Burgund werden sie eigentlich in Deutschland nicht gezielt erzeugt. Zum anderen sind die Alterungsvorgänge hoch komplex. Wie der Verf. richtig schreibt, ist „die Reifeentwicklung von Weinen (…) auch biochemisch und analytisch nur sehr schwer zu erfassen, da hunderte von Inhaltsstoffen daran beteiligt sind, die oxydieren, verestern oder polymerisieren“ (S. 44).
Um entsprechende Untersuchungen anzustellen, fehlen in den Forschungsinstituten oft nicht allein die Versuchsmuster, sondern auch die zeitlichen und finanziellen Kapazitäten, um langjährige Versuchsreihen durchzuführen. Einzig als Anfang des Jahrhunderts der „untypische Alterungston“ (UTA) auftauchte, führte dies zu vergleichsweise vielen Untersuchungen, vornehmlich aber im Bereich der Bodenkunde und Pflanzenernährung, wo dessen Ursachen vermutet wurden. Auch die als Ersatz für den Naturkorken auftauchenden neuen Flaschenverschlüsse zeitigten Versuchsreihen (z.B. in Geisenheim), die immer noch nicht abgeschlossen sind. Die einzigen mir bekannten ausführlicheren Untersuchungen stammen von Volker Schneider, Weinalterung, Teile 1-4, in: Weinwirtschaft – Technik 8/1989, S. 14-18; 9/1989, S. 36-39; 10/1989, S. 23-27; 2/1990, S. 10-13, sowie von Rainer Amann, Weinalterung – welchen Einfluss haben Zucker, Säure und SO²?, in: Staatl. Weinbauinstitut Freiburg, Jahresbericht 2013, S. 16 f. (Beobachtungen an Müller Thurgau-Weinen über acht Jahre).
Angesichts des Forschungsstandes ist es verdienstvoll, dass der Verf., langjähriges Mitglied unserer Gesellschaft und Liebhaber, Sammler und Kenner älterer Rieslingweine seit vierzig Jahren, seine Erfahrungen mit diesen mitteilt. Den Reifeverlauf von Rieslingweinen mit verschiedenem Ausbaustil mit jeweils zwei „Verschlussphasen“, während derer die Weine nicht recht schmecken, beschreibt er detailliert und für jeden, der sich mit solch älteren Weinen auskennt, unmittelbar nachvollziehbar.
Die Schrift liegt inzwischen in dritter Auflage vor und ihre Lektüre sei nicht nur denen empfohlen, die die Passion des Verf. teilen. Der Verf. ist Autodidakt, aber ein sehr kenntnisreicher, und so kann der interessierte Verbraucher aus seiner Schrift nicht nur über das Thema Weinalterung viel erfahren, sondern zugleich auch über den Weinbau und die Kellerwirtschaft, aber auch die Moden der Weinwelt, das derzeitige Bezeichnungswirrwar u.a. Man erspart sich mit der Lektüre dieser Schrift die zahlreicher
Weinzeitschriften!
Verfasser: Prof. Dr. Hans Reinhard Seeliger, Rottenburg
Aus: Mitteilung der GGW 2/2016
Franz Josef Felten und Michael Matheus (Hrsg.):
Rheinhessen – Identität – Geschichte – Kultur.
Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2016. 197 Seiten.
ISBN 978-3-515-11600-8. EUR 44,-
Rheinhessen wurde 1816 beim Wiener Kongress als Provinz des Großherzogtums Hessen-Darmstadt „künstlich“ geschaffen. Geschichte und Kultur haben die Teilregionen jedoch schon viele Jahrhunderte früher unter verschiedenen Herrschaften geformt und geprägt. So ist es nicht verwunderlich, dass es Generationen bedurfte, um dieses neue politische Gebilde zu einer Einheit zusammenwachsen zu lassen.
Anlässlich des Jubiläums „200 Jahre Rheinhessen“ veranstalteten der Altertumsverein für Alzey und Umgebung e. V. gemeinsam mit der Arbeitsgemeinschaft Rheinhessische Heimatforscher e. V. und dem Institut für Geschichtliche Landeskunde der Universität Mainz eine Vortragsreihe, die sich mit der Geschichte und den verschiedensten Aspekten des Lebens in diesem Landstrich auseinandersetzten und die in dem vorliegenden Buch zusammengefasst worden sind.
Die grundsätzliche Frage, ob es überhaupt so etwas wie eine rheinhessische Identität gibt, beschreibt Rainer Karneth in seinem Beitrag. Nach längeren Betrachtungen lässt er am Ende deren Beantwortung offen. Auch nach 200 Jahren des Bestehens findet er Ansätze, kann die Frage nach einer rheinhessischen Identität jedoch nicht endgültig beantworten. Ähnliches konstatiert auch Rudolf Post zur Existenz eines rheinhessischen Dialekts. Es gibt in Rheinhessen mehrere Dialekte, die mit den jeweiligen Nachbarregionen korrespondieren, ein einheitliches Rheinhessisches kann er nicht feststellen. Gunnar Schwarting erläutert anhand mehrerer Beispiele, wie sich die großherzoglich hessische Gemeindeordnung von 1821 sehr positiv auf die Entwicklung der Provinz Rheinhessen auswirkte und für die Gesamtregion große Fortschritte brachte. Den Einfluss herausragender Provinzialbaumeister wie Georg Moller, Ignaz Opfermann oder Georg Arnold auf die Bautätigkeit in den rheinhessischen Dörfern anhand vieler Beispiele beschreibt Dieter Krienke. Typische rheinhessische Bauerngehöfte, aber auch Kirchen, öffentliche Gebäude, ja ganze Dörfer nimmt er in den Blick und geht auf Entwicklungen in der Bautätigkeit ein. Das 19. Jahrhundert ist auch die Zeit, in der viele „Kuhkapellen“ in Rheinhessen errichtet wurden und die heute ein Alleinstellungsmerkmal bilden. Die Entwicklung der landwirtschaftlich/weinbaulichen Gemischtbetriebe im 20. Jahrhundert hin zu reinen Weinbaubetrieben, zu Weingütern, hat in den allermeisten Fällen zu einer Umwidmung dieser kreuzgewölbten Viehställe in Weinprobierstuben und Vinotheken geführt und bildet heute eine Attraktion.
Otto Schätzel hat sich des Themas „Rheinhessen – Weinregion mit Tradition“ angenommen. Von der ursprünglich landwirtschaftlich geprägten Region haben sich in den vergangenen beiden Jahrhunderten immer stärker die Sonderkulturen entwickelt, an vorderster Stelle der Weinbau gefolgt von Obst- und Spargelanbau. In jüngster Zeit hat sich eine gut ausgebildete, selbstbewusste junge Winzergeneration herausgebildet, die die Geschicke in den Weingütern lenkt und der Region dank deren vielfältigen Initiativen gemeinsam mit der Gebietsweinwerbung „Rheinhessen e. V.“ „einen nie für möglich gehaltenen neuen Drive“ gibt, deren identitätsstiftende Außenwirkung deutlich erkennbar ist.
Weitere interessante Themen werden abgehandelt wie: „Die rheinhessischen jüdischen Gemeinden“, „Die rheinhessische Auswanderung nach Nordamerika“ und „Der Aufstieg der NSDAP“. Nicht fehlen durfte in diesem Kontext „Die Macht aus Rheinhessen“, der Beitrag des 1. FSV Mainz 05 zur regionalen Identitätsstiftung.
Die vielen dargestellten Facetten an unterschiedlichen Themen halten für jeden Leser Interessantes bereit.
Verfasser: Dr. Gerhard Stumm, Bad Kreuznach
Aus: Mitteilung der GGW 2/2017
Matthias Dietz-Lenssen:
J.Neus. Pionier und Retter der Spätburgunder-Rebe.
Kulturgeschichte der Rotweinstadt. Ingelheim - Mainz - Rheinhessen.
Agentur & Verlag Bonewitz, Bodenheim 2015. 256 Seiten.
ISBN 978-3-9816416-5-3. EUR 17,90
Aus gegebenem Anlass des Jubiläums „200 Jahre Rheinhessen“ und des Eigentumwechsels des Traditionsweingutes J.Neus in Ingelheim hat der Autor Dietz-Lenssen ein Stück Ingelheimer Kulturgeschichte in den Fokus gerückt. In vier Abschnitten hat er die Geschichte Ingelheims, des Rotweins mit besonderem Schwerpunkt in Ingelheim und Rheinhessen, des Weingutes J.Neus und schließlich der Weinstadt Mainz und der neuen Eigentümerfamilie Schmitz beleuchtet. Für das reich bebilderte Buch hat der Autor umfangreich recherchiert. Für die Ausführungen im Kapitel über das Weingut Neus war es ein ausgesprochener Glücksfall, dass Josef Neus und seine Nachfahren viele für uns spannende und wichtige historische Belege sammelten und so der Nachwelt bewahrten, die jetzt von Dietz-Lenssen ausgewertet werden konnten.
Bereits in der Einleitung erfährt der Leser, dass Josef Neus von der Weißweinregion Obermosel im Jahre 1881 nach Ingelheim übersiedelte und dort eine Weinhandlung gründete. Doch schnell wurde er „Weinbergs-Besitzer“ und widmete sich als solchem der Rotweinsorte „Blauer Spätburgunder“.
Das vorliegende Buch begibt sich auf die Spuren des Rotwein-Pioniers, beleuchtet die reichhaltige Geschichte des Weingutes und spannt den Bogen zur Kulturgeschichte der „Rotweinstadt“ Ingelheim.
Das Kapitel über die Geschichte Ingelheims reicht nach Recherchen des Autors bis in die Römerzeit zurück, wo „Römisches Militär denkbar ist“. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass das Gebiet zwischen Mainz und Bingen der landwirtschaftlichen Nutzung vorbehalten war. Sehr ausführlich wird anhand einer ausgesprochen umfangreichen Quellenlage die Karolingerzeit abgehandelt. Es war eine der Blütezeiten Ingelheims, die von der Entscheidung Karls des Großen getragen war, hier eine Kaiserpfalz zu errichten, die auch heute noch oder wieder zu einer Hauptattraktion der Stadt avancierte. Sie wurde von Karl dem Großen viermal und von seinen Nachfolgern bis ins 13. Jahrhundert oftmals aufgesucht. Seit der Zeit Karls des Großen sind Weinbau und Weinbereitung in Rheinhessen belegt. Als Zeitpunkt der ältesten sicheren urkundlichen Erwähnung von Weinbau gilt das Jahr 742, in dem die Niersteiner Marienbasilika samt Weinberg (Glöck) dem neugegründeten Bistum Würzburg geschenkt wurde. Nachweise für römischen Weinbau sind zwar sehr wahrscheinlich, jedoch nicht gesichert. Noch 2010 fasst Margarethe König den Stand der Erkenntnisse zusammen: „Als Ergebnis halten wir fest, dass es in Rheinhessen derzeit keinen überzeugenden Nachweis von römischem Weinbau gibt.“ Ebenso wenig ist laut Dietz-Lenssen belegt, ab wann im Ingelheimer Raum Rotwein-Rebsorten und hier insbesondere Spätburgunder kultiviert wurden.
Trotz Recherchen des Autors gibt es keine verlässlichen Quellen zur Rotweinproduktion in Ingelheim. Der hessische Geheimrat Johann Isaak von Gerning spricht von Anpflanzungen von roten Rebsorten im Jahre 1730, betont aber gleichzeitig, dass die daraus gewonnenen Weine bezüglich „Feuer und Güte“ nicht an den Aßmannshäuser herankommen.
Johann Wolfgang von Goethe, der 1814 auf seinem Weg von Wiesbaden zum Rochusberg, wo er das Rochusfest besuchte, nach Ingelheim kam, war nach Verkostung in Bezug auf den Rheinhessischen Rotwein einer Meinung mit ihm.
Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert konnte die Qualität der Rotweine mit denen anderer renommierter Anbaugebiete mithalten. Bei den Weltausstellungen im Jahre 1900 in Paris und 1904 in St. Louis, an denen mehrere rheinhessische Weinhandlungen und Weingüter – unter anderen auch J.Neus – ihre Weine präsentierten und zum Verkauf brachten, wurde die Qualität der Weiß- und Rotweine sehr geschätzt. Spätestens seit den Weltausstellungen zählte der Ingelheimer Wein auch in internationalen Fachkreisen zu den gefragten Spitzenweinen.
Das reich bebilderte Kapitel über das Weingut Neus wird eingeleitet von einer Serie von Abbildungen von Etiketten der von der Kellerei vertriebenen Weine von 1915 bis 2013. Danach folgt die Abhandlung der interessanten und von unternehmerischem Weitblick getragenen Lebensgeschichte der Familie und des Weingutes. Als besondere Tat des Firmengründers wird vom Autor die Rettung des Spätburgunders in Ingelheim ab dem Katastrophenjahr 1906 hervorgehoben. Die Reblaus, der „Falsche“ und der „Echte Mehltau“ hatten Ertrag und Rebanlagen derart stark dezimiert, dass J. Neus mit Weitblick und unter Anleitung von Weinbaulehrer Konrad Willig Klonenselektion betrieb und die positiven Ausreißer-Rebstöcke selektierte, um sie weiter zu vermehren. Daraus entstand der heute noch bekannte und berühmte Neus-Klon: klein und lockerbeerig mit dicker Schale, dem Burgundertyp ähnlich.
Mit einem Exkurs zur Landeshauptstadt Mainz und der Unternehmerfamilie Schmitz mit Weinhandel, späterer Dampfschifffahrt-Gesellschaft bis zur Spedition Kayser enden die sehr interessanten und empfehlenswerten Ausführungen.
Verfasser: Dr. Gerhard Stumm, Bad Kreuznach
Aus: Mitteilung der GGW 2/2016