Buchbesprechungen
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Göttert, Karl-Heinz: Tal und Tälchen. European Essays on Nature and Landscape. Hamburg 2024. 144 Seiten; ISBN: 978-3-96194-248-0. 22,00 Euro.

„Tal und Tälchen“ gehört zur Reihe der „European Essays on Nature and Landscape“, die sich essayistisch mit den Themen Natur und Landschaft befassen. In dem hier besprochenen Band geht es um das Obere Mittelrheintal und seine durch die Zuflüsse geprägten Tälchen. Man nimmt das Büchlein gerne zur Hand. Der Text ist mit überwiegend farbigen Abbildungen illustriert. Auf einer Doppelseite findet der Leser eine Karte des Rheintales zwischen Koblenz und Bingen, die sich gut zur Orientierung eignet. So hat man den Rheinsteig, 22 Burgen, Loreley und Spitznack, das Steeger Tal, die Pulsbachklamm und (weitere) Orte, die der Autor Karl-Heinz Göttert beschreibt und besucht hat, während der Lektüre problemlos im Blick. Im Vor- und Nachsatz „dräut“ (man kann es schwerlich anders ausdrücken) eine beeindruckende Zeichnung des engen Tales mit der Loreley.
Göttert macht auf rund 130 Seiten aus seiner „Anhänglichkeit an dieses Rheintal“ keinen Hehl. Vor allem sind es pointiert persönliche Begegnungen mit der Landschaft und ihren Menschen, die er schildert. Der an Natur und Kultur interessierte Leser profitiert von diesen gut vorbereiteten Kontakten, den Informationen und Reflexionen des gebürtigen Koblenzers, den die Frage umtreibt: „Was ist das eigentlich genau – eine Kulturlandschaft?“
Das Themenspektrum könnte breiter nicht sein. Am Beispiel seines Geburtsortes schildert Göttert die typischen und wiederholt anzutreffenden Probleme der Siedlungen im Mittelrheintal. „Denn Ehrenbreitstein hatte früh mit den negativen Seiten des wirtschaftlich wie touristisch erschlossenen Rheintals zu kämpfen“. So rückt er die optische Abschnürung durch die Eisenbahnlinie, den landschaftsverändernden Bau der Bundesstraße als Hochstraße und die zeitweilig komplette Isolation des Ortes durch den Hochwasserschutz in den Blick. Im Kapitel „Vom Fachwerk und (zu) viel Verkehr“, das sich mit Rheinstädtchen wie Oberwesel und Bacharach befasst, nimmt er dieses Thema teilweise noch einmal auf. Das hübsche Bild vom „Rhein als Gräber des Mittelrheintales“ wird im Kapitel „Von Riffen, Sandbänken und Lachsen“ mit Leben gefüllt. „Höhenburgen und Spornburgen“ werden in ihrer Bedeutung für die geistlichen und weltlichen Herrschaften (Zölle), die Romantiker („Des Knaben Wunderhorn“), die Preußenprinzen und den Ruhrindustriellen Hugo Stinnes beleuchtet. Heute sind sie die Treiber des Rheintourismus. Besonders der Verbindung zwischen (Bau)- Kultur und Natur widmet sich der Abschnitt „Auf der Burg“: Der Autor sieht Mauerreste als „eine einzige Huldigung an das Rheinische Schiefergebirge“, betrachtet Moose und Flechten, den Weißen Mauerpfeffer und den Goldlack, den ein Kreuzritter mitgebracht haben könnte. An anderer Stelle macht er die Einmaligkeit der Natur im Mittelrheintal daran fest, dass mehr als ein Drittel aller in Deutschland heimischen Pflanzenarten dort auf 0,2 Prozent der Gesamtfläche vertreten sind. „Für die Fauna gilt Ähnliches“. Göttert bedauert, dass sich Falken, die er „die eigentlichen Burgherren“ nennt, und Dohlen bei seinem Besuch auf Burg Liebenstein nicht blicken lassen. Er vermisst den Burggarten, der den Bewohnern in alten Zeiten zur Ernährung und zu Heilzwecken diente. Bei diesem Thema lässt der Germanist Göttert, der als Hochschullehrer an der Universität Köln forschte und zuletzt in China lehrte, sein Vorwissen erkennen, das aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Pflanzen- und Tierbüchern von der Antike bis in die Frühe Neuzeit stammt. Wenn später „Von Felsen, Steinbrüchen und Stollen“ die Rede ist, erhält der Leser Einblicke in die Erdgeschichte und staunt über „eine Verbindung in 150 Metern unter dem Rhein, wo einmal Loren hin und her fuhren“.
Den Status als UNESCO-Welterbe verdankt das „Tal“ nicht zuletzt den menschengemachten Terrassierungen der steilen Berghänge. Damit spielt der seit dem 7. Jahrhundert urkundlich nachweisbare Weinbau im Oberen Mittelrheintal auch im vorliegenden Essayband eine nicht geringe Rolle. Auf knapp zwanzig Seiten im Zusammenhang und an mehreren anderen Stellen ist von den Mühen des Terrassenweinbaus, den Brachen und allzu seltenen Zuschüssen zur Erhaltung kleinparzellierter Hänge die Rede. Auch vom Bopparder Hamm mit seinen besten Weinlagen und dem Vermarktungsproblem des Mittelrheinweins, „weil er, anders als der Wein im benachbarten Rheingau, international kaum bekannt ist“. Göttert diskutiert die durch Flurbereinigung und Querterrassierung bedrohte Ästhetik des Kleinzelligen, stellt aber zugleich fest: „Auch der Weinbau hat keine „natürliche“ Ästhetik und schon gar keinen Anspruch auf kleinzelligen Terrassenanbau“. Im Austausch mit dem Winzer Florian Weingart, der nicht nur Bäume auf einer 1200 Jahre alten Weinbergsparzelle gerodet hat, um Reben anzupflanzen, sondern auch Weinbergspfirsiche und andere Obstbäume gepflanzt hat, notiert er eine Vision, die dem Mittelrheintal ein lebendiges Erbe bewahren könnte: „Die Idee ist, ein zusammenhängendes Stück traditioneller vielfältiger Kulturlandschaft nach ökologischen Gesichtspunkten dauerhaft zu erhalten und die Monokultur des Weinbaus vielfältig zu ergänzen“. Auf Weingarts Parzellen grasen Kamerunschafe und Kühe befreundeter Landwirte. Dem Riesling hält auch dieser Winzer trotz der Probleme, die der Klimawandel mit sich bringt, die Treue. Die vielseitige Rebsorte, die in der geschützten Tallage aufgrund des Terroirs ihre ganze Qualität ausspielen könne, habe Zukunft, wenn denn die Winzer als „originäre Pfleger und Hüter dieser Landschaft“ ihr Geschäft verstünden.
„Die unausweichliche Dynamik historischer Entwicklung“ im Blick, handelt „Tal und Tälchen“ auf anregende und unterhaltsame Art und Weise von der Vielfalt und der Identität des Oberen Mittelrheintals. Es motiviert zu Erkundungen und Wiederbegegnungen und kann auch zur Vorbereitung des für wein- und kulturinteressierte Zeitgenossen obligatorischen Ausflugs zur BUGA 2029 empfohlen werden.
Peter Schuh, Trier
Grätzel, Stephan/ Rehm-Grätzel, Patricia: Reiner Wein. Philosophie zum Einschenken. Verlag Königshausen & Neumann Würzburg 2022. 138 Seiten, kartoniert; ISBN: 978-3-8260-7583-4. 17,80 Euro.
Stephan Grätzel ist emeritierter Professor für Philosophie an der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. Patricia Rehm-Grätzel, Docteur des Lettres an der Université de Bourgogne, Dijon, lehrte am Département d’allemand der Université de Bourgogne, an der School of Humanities am Waterford Institute of Technology, Irland, und am Philosophischen Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Derzeit arbeitet sie als Lehrerin für Deutsch und Französisch am Bischöflichen Willigis-Gymnasium Mainz.
Dem Autorenpaar gelingt es, bereits im Vorwort nicht nur Spannung und mit einem ansprechenden Sprachstil Vorfreude für den Hauptteil aufzubauen, sondern auch die Wahl des Buchtitels ernsthaft und doch vergnüglich zu erklären. Im ersten Kapitel wird die spirituelle Verbindung von Philosophie und Wein behandelt. Die Begegnung mit der Philosophie des Weines von Béla Hamvas macht Lust darauf, mehr über ihn und seine Philosophie zu erfahren. Seine Betrachtungen sind für die Autoren grundlegend und werden im weiteren Verlauf des Buches immer wieder aufgegriffen. Im zweiten Kapitel werden die Reflexionen des Weins, seine Widerspiegelungen der Wahrheit im Leben und Bewusstsein aufgefächert. Hierbei geht es zunächst um die Sinnlichkeit des Weins. Der Wein wird aber auch als Träger von Erinnerungen behandelt. Damit kommen die Autoren zu den Grundfragen des Denkens, der Suche nach dem Grund des Lebens und seinem Sinn. In diesem Kapitel wird gezeigt, warum der Wein in unserer Kultur einen so hohen Stellenwert bekommen konnte. Um ihn und seine Bedeutung ganz zu verstehen, reicht die Betrachtung der Sinnlichkeit, der fünf Sinne nicht aus, sondern es ist – nach Auffassung des Autorenduos – eine Verbindung zum Übersinnlichen erforderlich. Im dritten Kapitel legen sie dar, wie Wein mythologisch, religiös, literarisch und ganz alltäglich gefeiert wurde und wird. Sie stellen den Wein als Protagonisten der Wahrheit auf der Bühne des Lebens dar.
Wem soll ich dieses Buch empfehlen? Ich kann es allen Leserinnen und Lesern ans Herz legen, die bereit sind, die traditionellen Pfade naturwissenschaftlicher und önologischer Weinvorstellungen zu verlassen. Das Autorenpaar nennt das, „Wein neu zu denken“. Hierauf komme ich nochmals zurück. Das Buch ist aber auch deshalb empfehlenswert, weil es in den Kapiteln immer wieder überraschende Gedankenzusammenhänge anbietet, die neugierig machen, über die es sich lohnt nachzudenken oder sich weitere Informationen einzuholen.
Bemerkungen wie „Die Wende vom Selbstverständlichen zum Staunenswertesten ist der Ursprung der Philosophie“ schärfen die Aufmerksamkeit beim Lesen. So auch das nachfolgende Beispiel: „Der Wein teilt also das Schicksal mit dem Geist, auf einen bestimmten Stoff reduziert zu werden: der Wein auf Alkohol, der Geist auf Gehirn. Dabei sind diese sogenannten Stoffe noch nicht einmal ausschlaggebend für das, was sie auch rein stofflich sind: Wein ist kein Alkohol, sondern ein Genuss und Lebensmittel, Geist ist kein Gehirn, sondern der Umgang mit anderen, mit der Natur, auch mit sich selbst.“ Ja, ein Gedankengang, der in der alkoholpolitischen Diskussion von höchster Aktualität ist. Wer mit dem ungarischen Philosophen Béla Hamvas (1897 – 1968) bisher nicht viel anfangen konnte, der wird mit dessen Philosophie des Weins, die in dem Buch eine große Rolle spielt, viel Freude haben. Ein Beispiel: „Die Sinnlichkeit der Welt und der Genuss des Lebens kommen beim Trinken am besten zur Geltung.“ Die Autoren verweisen darauf, dass sich hierbei Hamvas vor allem für den Wein interessiert, „aber nicht nur wegen seiner Qualität, sondern vor allem deshalb, weil er für ihn ‘wie ein flüssiger Kuss’ ist.“ Darüberhinaus gibt Hamvas dem Wein die bedeutende Rolle einer allgemeinen und universalen Stellvertretung des Lebens.
Die Lesefreude wird erhöht durch Passagen wie: die Kneipe gehört „zu den wichtigsten Einrichtungen unserer Zivilisation, denn an diesem Ort werden Wunden geheilt, die dem Menschen in der Öffentlichkeit und durch die Regierung geschlagen werden. [...] Die Kneipe wird hier nicht als der Ort des einsamen Versinkens inmitten vieler Isolierter verstanden und der Wein wird auch nicht nur als ein Getränk oder eine Art Alkohol verstanden, mit dem man sich betäubt. Vielmehr treffen sich hier die Gleichgesinnten, die gemeinsam den Genuss des Lebens feiern.“
In dem Kapitel Wein und Maske gibt es Passagen, die beim Rezensenten doch Zweifel haben aufkommen lassen, ob die Philosophie des ungarischen Philosophen mit seiner Verherrlichung des Rausches, um zur Erleuchtung und damit paradoxerweise „zu einer höheren Nüchternheit“ zu kommen, uns in der heutigen gesellschaftlichen Diskussion Hilfestellung bieten kann. Es gibt auch andere Aussagen in weiteren Kapiteln, denen der Rezensent nicht zustimmen würde, aber sie bieten Gesprächsstoff mit anderen Perspektiven und einem anderen Zugang zur Weinkultur und zur Weinphilosophie. Die Diskussion über ein neues Verständnis von Kultur und Natur wird ebenso aufgegriffen wie die Gratwanderung der Weinbranche auf den Narrativen von Weinphilosophen und der Marketingexperten. In den Kapiteln über die Reflexionen des Weines, bei den Unterkapiteln Poesie des Weines, Architektur des Weins etc. habe ich oft ein Ausrufe- oder auch Fragezeichen (wenn es z. B. um die Heilkräfte geht) an den Rand gesetzt, natürlich nur mit dem Bleistift, zum späteren Wegradieren, denn das Buch soll rein bleiben.
Meine Leseempfehlung wird nicht dadurch gemindert, wenn ich zum Schluss auf eine Passage zurückkomme, der ich nicht zustimmen kann oder von der ich mehr oder eine andere Weiterführung erwartet hätte: „Wein zu denken oder auch neu zu denken bedeutet, ihn auch zu einem Erlebnis werden zu lassen, bei dem die gesamte sinnliche, leibliche und geistig geistliche Symbolik wieder eingebracht wird. D. h. aber auch, den Wein auf alte und wahrscheinliche Weise zu denken. Das neu ist auch eine Rückkehr zur kultischen Bedeutung des Weines und seiner Heiligkeit.“ Auch ich bin der Meinung, dass wir Weinkultur neu denken müssen, aber meines Erachtens nicht mit einem Zurück zur kultischen Bedeutung alter Zeiten. Ich hoffe zumindest nicht, dass der Lebensstil und die Weinkultur der Zukunft kultische Züge einer Vergangenheit tragen, die auch von berauschten Männern und von benachteiligten Frauen geprägt war. Anders gewendet: In einer Zeit, in der uns geradezu fundamentalistische Alkoholgegner unter Berufung auf WHO und DGE die Mär verbreiten, dass bereits der erste Tropfen Wein in jedem Fall gesundheitsschädlich sei, ist das Eintreten für einen aktuellen Weinkulturdiskurs äußerst verdienstvoll. Dem Buch wünsche ich viele Leserinnen und Leser, die bereit sind, Weinkultur neu zu denken und zukunftsweisend zu gestalten.
Rudolf Nickenig, Remagen
Jacquet, Olivier : Le goût des vins d’origine : Genèse, construction et triomphe des AOC au XXe siècle. Editions Universitaires Dijon, 2024, 436 Seiten.
In seinem neuen Buch „Der Geschmack von Herkunftsweinen: Entstehung, Konstruktion und Triumph der AOC im 20. Jahrhundert“ analysiert Olivier Jacquet die Geschichte der kontrollierten Herkunftsbezeichnungen französischer Weine. 1919 als rein räumliche Abgrenzung erdacht, um das Recht an einem geographischen Namen den örtlichen Winzerverbänden zuzusprechen, werden sie bis 1935 durch die Festlegung von Produktionsbedingungen (Rebsorte, zulässiger Ertrag) zur Voraussetzung für die Verbindung des agronomischen Begriffs „Terroir“ mit einer hierarchischen Qualitätsvorstellung. Jacquet beschreibt das Zusammenspiel bei der Definition der AOC-Weine, ihrer Analyse, der Regelung der Praktiken und der Berufsausbildung zwischen verschiedenen Akteuren: öffentlichen Institutionen, Wissenschaftlern, Erzeugern und Berufsverbänden. Wie schwierig es in dieser Aufbauphase war, Qualität zu definieren, messbar und damit objektiv nachvollziehbar zu machen, zeigen die Fragen des Alkoholgehalts und der flüchtigen Säure. Der Autor stellt diese Bemühungen in den Kontext der allgemeinen Professionalisierung von Landwirtschaft und Weinbau, aber auch der Vorarbeiten europäischer Gesetzgebung. Ein Beispiel dafür ist die Formalisierung des bis dahin eher vagen Begriffs „Terroir“ im Hinblick auf dessen Einbringung in den Prozess der europäischen Harmonisierung.
Im dritten Teil zeigt der Autor, wie eine neue, standardisierte Form der Weinverkostung auf der Basis von Aromen die bisherige „technische“ Weinprobe ersetzte und dazu dienen sollte, Weine mit kontrollierter Herkunft untereinander, aber auch von Weinen ohne AOC zu unterscheiden. Dazu musste die Weinprobe als Teil eines offiziellen Kontrollverfahrens anerkannt werden, was in Frankreich erst im Zuge der europäischen Regelungen und auf Wunsch der deutschen Delegation erfolgte.
Neben Quellen aus dem Bereich der Verbände und Institutionen wie dem Nationalen Institut der Appellationen (INAO) oder der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV) kommt auch die Revue du Vin de France zu Wort, die wiederum in vielerlei Hinsicht mit den Institutionen verbunden war. Die Stimme der Weinerzeuger selbst wird außerhalb ihrer Berufsverbände nicht berücksichtigt. Dass damit wichtige Entwicklungen wie der Aufschwung der Gutsabfüllung oder des biologischen Anbaus kaum Erwähnung finden, liegt an der selbst gewählten Beschränkung des Themas.
Die Publikation besticht durch ihren Detailreichtum, die zahlreichen Quellenangaben und das umfangreiche Literaturverzeichnis. Sie bildet den Auftakt einer Weingeschichte des 20. Jahrhunderts aus einer europäischen Perspektive und eine wertvolle und unverzichtbare Grundlage für weitere Forschungen. Olivier Jacquet ist promovierter Historiker und Leiter des UNESCO-Lehrstuhls „Kultur und Tradition des Weinbaus und des Weins“ an der Université de Bourgogne in Dijon.
Karoline Knoth, Meursault
Cheung Caroline: Dolia: the containers that made Rome an empire of wine. Princeton: Princeton University Press, 2024. 344 Seiten; ISBN: 9780691243009. Preise ohne Gewähr: 55 Dollar als e-book, ca. 39 Dollar als gebundenes Buch.

Die Geschichte Roms steht für Kriege, Herrscher, Gladiatorenkämpfe und Eroberungen. Meist geschrieben aus der Sicht der Alphatiere, weniger aus der des gemeinen Volkes, nicht neu für die Mitglieder der Gesellschaft der Geschichte des Weines. Anders das neue Buch von Caroline Cheung. Rom wird nicht als politisch-wirtschaftliches Weltreich definiert, sondern als Imperium des Weines, befördert durch Dolia (Einzahl Dolium). Das sind die großen, dickbauchigen, ei- oder erdbeerförmigen, in der Erde eingelassenen Gär- und Lagerbehälter mit weiter Öffnung. Sie sind bei uns weniger bekannt und waren auch weniger verbreitet als die wie Sand am Meer vorkommenden Amphoren, die als Transportbehälter wesentlich kleiner sein mussten und zur besseren Lagerung unten spitz zuliefen. Sie finden sich nicht zuletzt in Hunderten untergegangener Handelsschiffe an den Küsten des Mittelmeeres, neben nur wenigen Wracks mit Dolia.
Natürlich ist über den römischen Weinbau, die Kellerwirtschaft und das römische Trinkverhalten bereits viel geschrieben worden. Wir wissen gut Bescheid über die römische Kellertechnik, die in Großbetrieben mit Pressen oder Konzentratanlagen industriellen Charakter aufwies. Was eher nicht im Fokus stand, waren diese Dolia. Deren Bedeutung liegt im wahrsten Sinne des Wortes vergraben, und ruhende technische Objekte neigen dazu, unter dem Radar der Aufmerksamkeit zu fliegen. Wer schreibt das erste Buch über die Geschichte der Schläuche und Leitungen, heute mindestens genauso wichtig wie Tanks? Dolia ließen sich nicht nur zum Aufbewahren, sondern auch zur Gärung nutzen und waren damit ein verfahrenstechnisches Gerät der Kellerwirtschaft. Unten kann sich Trub konzentriert sammeln, eingegraben in der Erde sind sie äußerst stabil und halten die Temperatur halbwegs konstant.
Zum Glück hatten bereits vor rund 20.000 Jahren nicht namentlich bekannte Genies in China begonnen, aus Ton Gefäße zu brennen. Die ersten Keramik-Technologen für die Herstellung von Wein waren ab 6.000 vor unserer Zeitrechnung die Georgier mit ihren Qvevries, die in Aussehen und Herstellung sehr stark den römischen Dolia ähneln. Später sieht man auf ägyptischen Wandbildern ähnliche Gefäße, die Griechen kannten solche Behälter natürlich auch und nannten sie Pithoi. Insgesamt gehören Erfindung und Nutzung von Keramikgefäßen zu den wichtigsten Erfindungen der Steinzeit; eine Erfindung, die es schließlich ermöglichte, eine wachsende Bevölkerung in großen urbanen Zentren mit jeder Art von Lebensmitteln zu versorgen. Festzuhalten ist, dass die Keramikbehälter eindeutig keine römische Erfindung sind, die Römer aber alles in eine größere, industrielle Dimension transformierten.
Keramik in all seinen Schattierungen spielt bis in die Gegenwart eine nicht unwesentliche Rolle. Das, obwohl Kelten um die Zeitenwende den Siegeszug des Holzes einläuteten, zunächst im Norden, in den folgenden Jahrhunderten nach und nach überall. Im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. wurden Dolia auch in Rom allmählich durch Holzfässer ersetzt, die waren kostengünstiger zu beschaffen im Handling wesentlich praktischer. Die Verwendung von Keramikbehältern hält trotzdem bis heute an, trotz der Erfindung von Edelstahltanks nach dem 2. Weltkrieg. Man mag es als eine Ironie der Geschichte sehen, aber in nicht wenigen Weinbaubetrieben stehen große Holzfässer, Keramikbehälter und Edelstahltanks heute friedlich nebeneinander. Dabei sind Gefäße aus Keramik oder Holz, speziell die Barriques, oft mehr als nur Lagerbehälter. Wer als Winzer den Kachetischen Stil nachahmt, die traditionelle georgische Technik und immerhin Weltkulturerbe, kann auf höchstem Niveau „Story Telling“ betreiben. Er nennt seine Weine dann wegen ihrer Farbe Orange Wines oder Naturwein. Die Sommeliers danken.
Caroline Cheung bewegt sich sehr konsequent innerhalb des Buchtitels und spricht Fachleute, aber ebenso interessierte Laien an. Das Buch verbindet Archäologie, Önologie, Historie und Kultur, eigentlich ideal für die GGW. Das Thema ist, einschränkend, allein Rom und dessen Containern gewidmet, der Rest der Welt und die Bedeutung von Keramik insgesamt werden weniger ins Auge gefasst. Wer Hammer ist, sieht die Welt als Nagel. Dafür deckt das Buch das römische Imperium und vor allem die Vielfalt der Behälter umfassend ab. Cheung sieht die Weinbehälter als die Superstars der gigantischen römischen Lager- und Infrastruktur für Lebensmittel. Eine rettungslos überbevölkerte Stadt mit bis zu einer Million Einwohnern zu versorgen, war alles andere als trivial. Letztlich war dazu unter anderem eine regelrechte Industrie zur Herstellung der Dolia entstanden. Allein in Mittelitalien ließen sich im 1. Jahrhundert n. Chr. 20 Produktionsstätten identifizieren. Sie produzierten Dolia für rund 100 Kellereien in dieser Region, die sich die großen Behälter mit hohen Anschaffungspreisen leisteten. Aber überall, wo es Römer und Wein gab, Spanien, Frankreich, Nordafrika, waren Dolia in unterschiedlichen Größen zu finden.
Der Schwerpunkt des Buches liegt auf Wein und noch etwas auf Olivenöl als Inhalt. Weizen oder Garum, das Maggi der Antike, werden ausgeklammert. Die unterschiedlichen Formen (rundlich, klein, groß, dünn, dick usw.), die Herstellung, die häufig notwendige, aufwendige Reparatur sind ihr Thema. Besonders die Reparatur war angesichts von deren hohen Anschaffungskosten immer erste Wahl. Dazu beschreibt sie regionale Unterschiede oder die Evolution der Dolia im Laufe der Zeit. All das wird in neun Kapiteln auf 210 Textseiten mit 75 Bildern und Grafiken anschaulich und ausführlich dargestellt. Ein Anhang von rund 130 Seiten mit großem Literaturverzeichnis und weiteren Erläuterungen zeigt die Tiefe, mit dem das Thema angegangen wird.
Dolia waren die größten Behälter ihrer Zeit, oft mit 1.000, aber auch bis 3.000 Liter Inhalt in Kellereien, deutlich kleinere in Gaststuben oder Landgütern. Vorausgegangen waren die griechischen Pithoi (Einzahl: Pithos), auch bis einige Hundert Liter fassend, unterschieden die sich von den Dolia in ihrer Form, sie waren eher für oberirdische Lagerung gedacht und nicht selten verziert. Kleinere Exemplare wurden sogar als Urnen nach einer Kremierung verwendet. Diesen, samt den georgischen Qvevries, liegt die gleiche anspruchsvolle Herstellung mit viel Spezialwissen zugrunde. Schichtweiser Aufbau mit speziellem, möglichst mineralreichem Ton, oft das Geheimnis des Produzenten, nur wenige Zentimeter täglich in die Höhe wachsend, dann einige Tage Lufttrocknen, bevor bei über 1.000 Grad Celsius mehrere Tage gebrannt wurde. Nach dem Auskühlen waren die Behälter transportbereit. Ausgekleidet wurden sie in der Antike mit einer dünnen Schicht Holzteer, die ein rauchiges Aroma ergibt und noch einen gewissen Gasaustausch erlaubt. Die heutigen Qvevries sind mit Bienenwachs ausgekleidet und sind so in der Lage, mit einer Art Mikrooxigenation (ein dosiertes Zuführen von reinem Sauerstoff zum Most oder jungen Wein) die Reife des Weines zu unterstützen. In den Kellereien wurden die Dolia in der Erde eingegraben, bis nur noch der obere Wulst herausschaute. Sie konnten mit Deckeln weitgehend luftdicht verschlossen werden. In Großbetrieben mit Dutzenden dieser Behälter betrugen die Abstände zwischen den Dolia oft nur wenige Zentimeter.
Die Weinherstellung mit und in diesen Behältern konnte auf unterschiedlichen Wegen erfolgen: Als reine Mostgärung, als Maischegärung mit weißen oder roten Trauben, abgebeert oder mit ganzen Trauben, evtl. noch mit Erwärmung (Kühlung war in römischer Zeit schwieriger), Lagerung nur kurz oder über Monate in den Dolia. Schwefelung gab es keine, die Gärung selbst war eine Spontangärung. Dadurch ergab sich für die antiken, aber auch für die heutigen Kellermeister, ein breites Spektrum an unterschiedlichen Weinen, je nach Philosophie des Unternehmens. Abgezogen wurde von oben, der Trester bzw. Weintrub konzentrierte sich unten. In die größeren Dolia (oder Qvevries), ab etwa 800 bis 1.000 Liter, konnten Arbeitssklaven einsteigen und reinigen. In Georgien wird der Weinrückstand heute zu einem sehr beliebten Tresterschnaps, vergleichbar Grappa, veredelt. Aufgrund hoher Gerbstoffgehalte konnten die Weine längere Zeit gelagert werden. Der römische Weingeschmack war zumindest bei den Alphatieren auf reife Weine geeicht, die aber bei größerem Bedarf durch Erhitzung einer Schnellreifung unterzogen werden konnten.
Cheung liefert in ihrem Buch eine Fülle von Spezialwissen, das der Laie interessiert zur Kenntnis nimmt, aber letztlich nicht wirklich kritisch begleiten kann. Er ist beeindruckt von den vielen Zahlen, Daten und Fakten. Eine fachkundige Rezension von Dimitri Van Limbergen von der Universität Verona vermisst allerdings einen interpretativen Mehrwert und einen mehr übergreifenden Ansatz. Wer sich mit dem antiken Rom, seiner Weinkultur und der Technologie beschäftigen will, wird nicht zuletzt aufgrund der anschaulichen Grafiken und Fotos viel Genuss bei der Lektüre finden.
Jochen Hamatschek, Landau
Kessler, Marzena/Tyrell, Marcel: Der Karthäuserhof in Eitelsbach. Die Geschichte eines Weinguts. Verlag für Geschichte & Kultur, Trier, 1. Auflage 2024, 168 Seiten. ISBN: 978-3-945768-39-6. 49,00 Euro.
Die Ruwer ist ein Nebenfluss der Mosel, dessen Steillagen im Unterlauf überwiegend mit Rieslingreben bestockt sind. Die geschichtlichen Wurzeln des Weinbaus in diesem Seitental der Mosel sind bereits in einer Urkunde des 8. Jahrhunderts fassbar. Nicht ganz so weit zurück geht die Geschichte des Karthäuserhofs, über die ein Buch berichtet, das jüngst im Trierer Verlag für Geschichte & Kultur erschienen ist. Die mit zahlreichen Abbildungen und aufschlussreichem historischen Kartenmaterial versehene Schrift umfasst 167 Seiten. In zehn Kapiteln wird die Historie des Weingutes aufgeblättert, die über weite Strecken eine Erfolgsgeschichte ist, aber auch ihre dunklen Seiten hat. Das sind die Wirrungen der 1920er bis 1940er Jahre, womit hauptsächlich die Auseinandersetzung um den Vertrieb leicht gezuckerter Weine des Jahrgangs 1922 außerhalb der Weinversteigerungen gemeint ist und vor allem die Mitte der 1980er Jahre strafrechtlich verfolgte Weinfälschung durch Nachverbesserung fertiger Weine mittels Zusatz von Saccharose. Personelle Konsequenzen blieben nicht aus. Im vorletzten Kapitel lässt sich studieren, welche Effekte die unter der Regie von Christoph Tyrell (Winzer des Jahres 1997 und 2005) begonnene Neuausrichtung des Weingutes hat, welches Potential in den Böden steckt, die jetzt biodynamisch bearbeitet werden und wie groß die wiedergewonnene Anerkennung der Fachwelt ist. 2012 übernahm Albert Behler. Das Weingut Karthäuserhof ist Mitglied im VDP.
Die Anfänge des Klostergutes lassen sich bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts zurückverfolgen. Eine auf den 29. August 1335 datierende Schenkung des Trierer Kurfürsten und Erzbischofs Balduin von Luxemburg, mit der der Hof Ysilspach (Eitelsbach) samt seinen Weingärten den in Trier ansässigen Kartäusern übereignet wird, legt den Grundstein für das noch heute existierende renommierte Weingut und seine Monopollage Karthäuserhofberg. Es beginnt eine lange Geschichte der klugen Zukäufe und Tauschgeschäfte. Bereits zu Beginn des 15. Jahrhunderts ist der dauerhafte Fortbestand des Guts als eine zusammenhängende Einzellage garantiert. Im Zuge der französischen Revolution verliert der Kartäuserorden seinen Besitz. Die Ferme dite Karthäuserhof, wie es in einer Liegenschaftskarte von 1813 heißt, wird zunächst von der Domänenverwaltung verpachtet und schließlich 1811 versteigert. Der Trierer Kaufmann und Immobilienhändler Valentin Leonardy erhält den Zuschlag. Er wechselt die Profession und „entwickelt sich mit großem persönlichen Engagement zu einem wahren Winzer“. In der langen Reihe von Repräsentanten der Eigentümerfamilien ist er bei weitem nicht der Einzige, der fachfremd startet. Die Geschäfte liefen, begünstigt durch die Zollpolitik der neuen, preußischen Landesherren, anfänglich so gut, dass das Weingut bereits 1822 als abbezahlt verbucht werden konnte. Der Grundbesitz wurde im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts, wie eine Sammlung von 84 Kaufverträgen im Hausarchiv des Hofs dokumentiert, trotz der nicht mehr ganz so günstigen Rahmenbedingungen kontinuierlich erweitert. In den 1860er Jahren befindet sich das Weingut unter der Führung von Karl Wilhelm Rautenstrauch (1828 – 1896), der seine Weine auf den Weltausstellungen in London (1862) und Wien (1873) präsentiert, „auf dem Weg zu Weltruhm“. Die Abkehr vom „gemischten Satz“ und der durch günstige klimatische Bedingungen geförderte Umstieg auf reinen Rieslinganbau ab der Mitte des Jahrhunderts waren Treiber dieser Entwicklung. Die erste Auslese wird bereits 1865 erzeugt. Der kommerzielle Erfolg bleibt nicht aus: 1882 erzielt das Weingut für ein Fuder Riesling Auslese aus der Lage Kronenberg 3000 Mark, was in etwa der Kaufkraft von 23.000 Euro entspricht. Ab Mitte der 1920er Jahre gelingt den Erzeugern die Vermarktung der eigenen Weine in Flaschen. Auf dem Karthäuserhof werden 1934 im Direktvertrieb mehrere Hundert Flaschen an Privatkunden verkauft. „Der Übergang zum modernen Weinhandel war damit vollzogen“. Das Etikett mit der rebenumkränzten Meerkatze im Abtswappen der Kartäuser, welches bereits die älteste, noch erhaltene Flasche (mit Wein des Jahrgangs 1893) ziert, verdient allerdings besondere Beachtung: Die traditionelle Halsschleife der Weine vom Karthäuserhof hat den gleichen besonderen Blauton, der seit 1839 den Markenauftritt des Eau de Cologne 4711 begleitet.
Die vorliegende, detailreiche und flüssig geschriebene Geschichte des Weingutes Karthäuserhof ist von Marzena Kessler und dem als Winzer ausgebildeten, heute in der universitären Forschung und Lehre tätigen Wirtschaftswissenschaftler Marcel Tyrell verfasst. Marzena Kessler, die zuvor das auch für die allgemeine Geschichte des Weinbaus im Ruwertal und der Vermarktung seiner Gewächse ergiebige Hausarchiv des Karthäuserhofs gesichtet und geordnet hat, ist Bauhistorikerin. Auch solche Leser, die bisher eine detaillierte Beschreibung und Einordnung der im Original erhaltenen, historischen Ausstattung des Gutshauses und des auch im Übrigen bedeutenden, denkmalwerten Baubestandes vermisst haben, kommen auf ihre Kosten. Ein Quellen- und Literaturverzeichnis rundet den reich illustrierten und sorgfältig lektorierten Band ab.
Peter Schuh, Trier

