Karl Christian GMELIN, deutscher Botaniker und Naturforscher
* 18. März 1762 in Badenweiler
† 26. Juni 1837 in Karlsruhe
Karl Christian Gmelin war Sohn eines Pfarrers und jüngerer Bruder des Kupferstechers Wilhelm Friedrich Gmelin. Nach sechsjährigem Studium der Medizin, mit besonderer Bevorzugung der Naturwissenschaften, an den Universitäten Straßburg und Erlangen, erwarb sich Gmelin 1784 in Erlangen den Doktorgrad und in Karlsruhe die Zulassung als praktischer Arzt. Außerdem lehrte er Naturgeschichte am dortigen Gymnasium, ein Amt, das er volle 50 Jahre versah.1786 wurde ihm auch die Direktion des fürstlichen Naturalien-Cabinets und die Aufsicht über die botanischen Gärten übertragen. 1794 brachte er die fürstlichen Sammlungen nach Ansbach. Die zweieinhalb Jahre, die er dort blieb, benützte er zu Studien in dem nahen Erlangen. Das wachsende Naturalien-Cabinet zeigt seinen Sammeleifer und der ihm anvertraute botanische Garten stand in den Kreisen der Naturforscher seiner Zeit in hohem Ansehen.
Dem Garten galten auch seine ersten Schriften: die beiden Auflagen des Catalogus plantarum horti Carlsruhani (1791 und 1800), denen 1811 noch ein Hortus Magni Duci Badarum Carlsruhanus folgte. Sein offizielles botanisches Autorenkürzel lautet C. C. Gmel. Sein Hauptwerk ist die Flora Badensis Alsatica et confinium regionum cis et transrhenana, das wegen seiner guten Speziesbeschreibung und sorgfältigen Zitierens der Literatur für seine Zeit mustergültig war. Das 1809 erschienene Buch Ueber den Einfluß der Naturwissenschaften auf das gesamte Staatswohl, zeigt, dass G. durchaus die Bedeutung wissenschaftlicher Arbeit für das Gemeinwesen im Auge hatte.
Für den Weinbau bedeutend ist seine Beschreibung der damals in den Rheinauen häufigen europäischen Wildrebe Vitis sylvestris C. C. Gmel. bzw. Vitis vinifera subsp. sylvestris C. C. Gmel. bzw. Vitis gmelinii Buttler in seiner Flora Badensis Alsatica. Außerdem hat er 1821 in den Verhandlungen des landwirtschaftlichen Vereins in Ettlingen die Barttraube (Laska) beschrieben, die als Wundertraube für regen Gesprächsstoff gesorgt hatte.
Quellen:
- Gmelin, Moriz: Gmelin, Karl Christian. In: Allgemeine Deutsche Biographie 9 (1879), S. 271–272. [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118966243.html#adbcontent (24.04.2024).
- Gmelin, Carolus Christiano: Flora Badensis Alsatica. Tom. 1–4. Carlsruhae 1805–1826.
- https://www.ipni.org/n/urn:lsid:ipni.org:names:69086-1 (24.04.2024).
Ernst Rühl, Geisenheim, April 2024
Günter STAUDT, Botaniker, Zytologe, Genetiker, Direktor des Staatlichen Weinbauinstituts Freiburg
* 26. August 1926 in Berlin
† 22. Mai 2008 in Bad Krozingen
⚭ Dr. med. Anneliese Staudt, geb. Werner; 2 Kinder (Rainer, Dieter)
Nach dem Besuch des Grunewald-Gymnasium in Berlin von 1937 bis1944 studierte Günter Staudt von 1946 bis 1950 an der Humboldt-Universität zu Berlin Biologie und Chemie. Anschließend wurde er dort 1952 bei Prof. Elisabeth Schiemann zum Dr. rer. nat. promoviert. S. blieb nach der Dissertation bis 1956 als wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Schiemann an der Forschungsstelle für Geschichte der Kulturpflanzen der Max-Planck-Gesellschaft. Von 1956 bis 1963 arbeitete er am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln und wechselte danach im Rahmen eines Habilitandenstipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft an das Institut für Vererbungsforschung der Technischen Universität Berlin und habilitierte sich dort 1966 bei Prof. W. Hoffmann. Bis dahin hatten Erdbeeren im Mittelpunkt seiner Arbeiten gestanden. Neben zahlreichen genetischen und zytologischen Untersuchungen beschrieb er erstmals die ostasiatische Iturup-Erdbeere (Fragaria iturupensis Staudt) als oktoploide Wildart. Mit dem Wechsel 1967 an die Bundesforschungsanstalt für Rebenzüchtung, Geilweilerhof, in Siebeldingen als Leiter der Abteilung Genetik und Zytologie änderte sich seine wissenschaftliche Ausrichtung. Von nun an standen Reben im Mittelpunkt seiner Forschungen. Im Jahr 1974 wurde er Direktor und Professor des Staatlichen Weinbauinstituts Freiburg. Dieses Amt übte er bis zum Beginn seines Ruhestands 1991 aus. Seiner Leidenschaft für Genetik und Zytologie blieb er auch in der Rebforschung treu mit Arbeiten zur Meiosis von di- und tetraploidem Riesling, dem Pollenschlauchwachstum und dem Verrieseln bei verschiedenen Rebsorten, der Jungfernfrüchtigkeit verschiedener Rebsorten sowie Studien zur Blüten- und Beerenentwicklung sowie Resistenz von Reben gegen den Falschen Mehltau Plasmopara viticola. Darüber hinaus entwickelte er eine Schnellmethode zur Ermittlung der Virus-Übertragungsresistenz bei Unterlagen und Wildarten.
Quellen:
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Katalog der Deutschen Nationalbibliothek - https://d-nb.info/gnd/
1059947080 (Stand: 11.11.2024) -
Biographisches Lexikon zur Geschichte der Pflanzenzüchtung 2. Folge - Gesellschaft für Pflanzenzüchtung AG Geschichte der Pflanzenzüchtung, erschienen als Heft 55 der Vorträge für Pflanzenzüchtung. Göttingen 2002, p. 302-302.
Veröffentlichungen (Auswahl):
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Staudt, Günter: Cytogenetische Untersuchungen an Fragaria orientalis und ihre Bedeutung für Artbildung und Geschlechtsdifferenzierung in der Gattung Fragaria. Diss. v. 9. April 1952.
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Habilitationsschrift an der TU Berlin vom 19. Februar 1966 veröffentlicht in 3 Teilen:
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Staudt, Günter: Genetics and Evolution of heteroecy in Genus Fragaria. 1. Investigations on Fragaria orientalis. In: Zeitschrift für Pflanzenzüchtung. Band 58(3), 1967, S. 245 – 277.
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Staudt, Günter: Genetics and Evolution of heteroecy in Genus Fragaria. 2. Interspecific crosses F. vesca x F. orientalis and F. viridis x F. orientalis. In: Zeitschrift für Pflanzenzüchtung. Band 58(4), 1967, S. 309 – 322.
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Staudt, Günter: Genetics and Evolution of heteroecy in Genus Fragaria. 3. Investigations on hexaploid and octoploid species. In: Zeitschrift für Pflanzenzüchtung. Band 59(1), 1968, S. 83 – 102.
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Staudt, Günter: Eine spontan aufgetretene Großmutation bei Fragaria vesca L. In: Naturwissenschaften. Band 46(1), 1959, S. 23.
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Staudt, Günter: Systematics and geographic distribution of the American strawberry species: taxonomic studies in the genus Fragaria (Rosaceae: Potentilleae). Univ. of Calif. Press, Berkeley [u. a.] 1999.
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Staudt, Günter: Les dessins d‘A. N. Duchesne pour son Histoire naturelle des fraisiers. Muséum Nat. d‘histoire Naturelle, Paris 2003.
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Staudt, Günter: Fragaria iturupensis, eine neue Erdbeerart aus Ostasien. In: Willdenowia, Bd. 7, H. 1, 1973, S. 101 – 104.
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Staudt, Günter: Entstehung und Geschichte der großfrüchtigen Gartenerdbeeren: Fragaria x ananassa Duch. Der Züchter 31(1961), S. 212 – 218.
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Staudt, Günter: 1968. Die Genetik und Evolution der Heterözie in der Gattung Fragaria. Verlag Paul Parey. Berlin, Hamburg.
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Staudt, Günter und M. Kassrawi, 1972: Die Meiosis von di- und tetraploidem Vitis vinifera „Riesling“. Vitis 11, S. 89 – 98.
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Schneider, W. und G. Staudt, 1978: Zur Abhängigkeit des Verrieselns von Umwelt und Genom bei Vitis vinifera. Vitis 11, S. 45 – 53.
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Staudt, Günter: Pollenkeimung und Pollenschlauchwachstum in vivo bei Vitis und die Abhängigkeit von der Temperatur. Vitis 21(1982), S. 205 – 216.
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Staudt, Günter, W. Schneider und J. Leidel 1986: Phases of berry growth in Vitis vinifera. Ann. Bot. 58(1986), S. 789 – 800.
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Staudt, Günter: Opening of flowers and time of anthesis in grapevines, Vitis vinifera L. Vitis 38(1999), S. 15 – 20.
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Staudt, Günter, H. H. Kassemeyer: A quick-test for screening resistance to transmission of grapevine fanleaf virus by Xiphinema index. Vitis 36(1997), S. 155 – 156.
Bildquelle: Landesarchiv Baden-Württemberg, Fotograf: Willy Pragher
Ernst Rühl, Geisenheim, Oktober 2024
Sigmund TELEKI – Zsigmond Teleki (Taussig), österreichisch-ungarischer Weingutsbesitzer, Weinhändler, Rebschulist und Unterlagenzüchter
* 24. September 1854 in Villány, Ungarn
† 20. August 1910 in Villány, Ungarn
Vater: Abraham Taussig
Mutter: Tina Taussig, geb. Weisz
verheiratet mit Matild Teleki, geb. Spitzer, Kinder: Andor Teleki, Trusci Berkovich, geb. Teleki, Alexander (Sandor) Teleki.
Sigmund Teleki absolvierte seine Ausbildung in Budapest und Wien, wo er nach Abschluss des Studiums in einer Bank arbeitete. Nach dem Konkurs der Bank wurde er Agent der Würzburger Weinhandelsgesellschaft. Von da an beschäftigte er sich dauerhaft mit Wein und Weinbau. Durch seine Arbeit bereiste T. viele europäische Weinbauregionen, wobei ihm seine Mehrsprachigkeit hilfreich war. Im Alter von 27 Jahren kehrte er 1881 nach Pecs (Ungarn) zurück und eröffnete ein Weingeschäft. Auf seinen Reisen durch europäische Weinbaugebiete war ihm bereits der gefährlichste Rebschädling, die Reblaus (Daktulosphaira vitifoliae Fitch) begegnet. Sie machte auch vor seiner ungarischen Heimat nicht halt und verwüstete viele Weinberge. Auf einem solchen 5 ha großen Weinberg pflanzte er als Versuch die damals vorhandenen Unterlagen wie Riparia portalis, Rupestris du Lot, Rupestris metallica, Aramon x Rupestris Ganzin 1, Mourvedre x Rupestris 1202 C und Solonis. Doch auf den kalkhaltigen Böden wuchsen die Reben schlecht und litten unter Chlorose. Diese Unterlagssorten waren also für seine Kalk-Standorte ungeeignet. Besser angepasste Unterlagen waren dringend notwendig, um den Weinbau auch auf solchen Standorten zu erhalten.
Jules-Emile Planchon und Pierre Viala, zwei Wissenschaftler aus Montpellier, hatten die Wildform Vitis berlandieri als besonders kalktolerant beschrieben, aber die Stecklinge bewurzelten sich sehr schlecht und waren für einen unmittelbaren Einsatz ungeeignet. Auf einer seiner Reisen nach Frankreich hörte T. von dieser Wildform. Der französische Rebenveredler Euryale Rességuier aus Alénya verkaufte in den 1890er Jahren an Planchon Stecklinge, Pfropfreben und Rebkerne von zwei Selektionen der kalktoleranten Vitis berlandieri. Von ihm bezog T. 1896 10 kg Rebkerne der Selektion Rességuier#1. Aus den ca. 40.000 Kernen zog er Sämlinge auf. Leider musste er feststellten, dass es sich nicht, wie von ihm erwartet, um reine, einheitliche Vitis berlandieri Nachkommen handelte, sondern dass viele verschiedene Formen auftraten und es sich vielfach um Kreuzungen mit Vitis riparia handelte. Er teilte daher die Population aufgrund ihres Aussehens und der vermutlichen Abstammung in zehn verschiedene Gruppen. Zusätzlich unterschied er die Pflanzen noch aufgrund ihrer Triebbehaarung in A (unbehaart) und B (behaart). Pflanzen mit der Bezeichnung 5A sahen also eher wie Riparia aus und hatten unbehaarte Triebe, während die der Gruppe 8B eher wie Berlandieri aussahen und behaarte Triebe aufwiesen. Die Gruppen 5A und 8B hielt T. für besonders geeignet. Zwischen 1902 und 1904 übergab T. seine zehn besten Selektionen an den österreichischen Weinbauinspektor Franz Kober, der damals die Weinbaustation Nussberg bei Wien leitete. Er selektionierte das Material weiter und gewann daraus Unterlagen wie Kober 5BB oder Kober 125AA.
Nach dem Tod Sigmund Telekis (1910) setzten seine Söhne Andor und Alexander seine Arbeiten fort. So gelangten 1912 einige seiner Zuchtstämme nach Oppenheim, aus denen der damalige Direktor Fuhr die Unterlage Selektion Oppenheim 4 (SO4) auslas. Ähnlich ging es mit weiteren Lieferungen von Teleki 5A oder 8B an verschiedene Züchter in Europa, die daraus Klone der Unterlagen Kober 5BB, der Kober 125AA, Teleki 8B oder auch die Sorte 5C Geisenheim auslasen. SO4 und Kober 5BB gehören heute, wegen ihrer guten Reblaus- und Kalktoleranz, sowie ihrer guten Veredlungs- und Bewurzelungsfähigkeit zu den wichtigsten Rebunterlagen nicht nur in Deutschland und Europa, sondern weltweit. Der Visionär T. hat hiermit einen entscheidenden Beitrag zu einer nachhaltigen, biologischen Bekämpfung der Reblaus durch die Verwendung toleranter Unterlagen geleistet.
Quellen:
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https://www.geni.com/people/Zsigmond-Teleki/6000000004190529016 (11.11.2024)
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J. Schmid, F. Manty, B. Lindner: Geisenheimer Rebsorten und Klone. Geisenheimer Berichte 90. 3. Auflage 2019. ISBN 978-3-934742-56-7
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Müller, K.: Das Weinbaulexikon. 1930.
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Teleki, Andor: Der Moderne Weinbau – Die Rekonstruktion der Weingärten. A. Hartleben’s Verlag, Wien und Leipzig. 3. Auflage 1927.
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Sterberegister Villány: https://www.familysearch.org/ark:/61903/3:1:33S7-9PBS-VCF?i=197&cc=1452460&cat=775517 (11.11.2024)
Bildquelle: Wikipedia commons
Ernst Rühl, Geisenheim, Oktober 2024
Paula RIEDE, geb. Riede – Dr. phil., Geografin, Weinchemikerin, Politikerin, Bundestagsabgeordnete
* 19 Dezember 1923 in Schömberg (Zollernalbkreis)
† 16. Oktober 2012 in Fellbach-Oeffingen
Vater: Franz Riede (1881 – 1961), Oberlehrer, gebürtig aus Kolbingen Lkr. Tuttlingen
Mutter: Julie Riede geb. Eble (1889 – 1964), Wengertertochter aus Erlenbach bei Heilbronn
⚭ 1953 mit Dr. Paul Riede (1909 – 1992), Zahnarzt
3 Kinder: Eva Riede-Leibbrand, Cornelia Bürkle geb. Riede, Dr. Matthias Riede
Paula Riede wuchs mit drei älteren Brüdern zunächst im Zollernalbkreis auf. 1926 zog die Familie nach Heilbronn, wo R. 1942 das Abitur ablegte. Sie studierte an der Universität Tübingen Geografie, Germanistik und Geschichte. 1945 bis 1947 promovierte sie bei dem Arabienforscher Prof. Dr. Hermann von Wissmann im Fach Geografie. Da R. sich ein heimatkundliches Thema wünschte, teilte er sie Dr. Karl-Heinz Schröder zu, der zu dieser Zeit seine Habilitation zur Siedlungsgeographie des württembergischen Weinbaus vorbereitete. In ihrer Dissertation „Das Weinbaugebiet östlich des unteren Neckars zwischen Marbach und Gundelsheim“ beschäftigte sie sich u. a. mit dem Einfluss des Weinbaus auf Siedlungsformen und kam zu der bis heute gültigen Erkenntnis, dass der Weinbau im rechtsrheinischen Germanien, dem sogenannten Dekumatland, nicht auf die Römer zurückgeht.
Anschließend arbeitete R. zunächst im praktischen Weinbau im pfälzischen Weingut Johannitergut-Herrenhof, wobei sie zusätzlich davon profitierte, dass der Eigentümer Dr. Otto Sartorius als Dozent an der Universität Mainz Vorlesungen über die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung des Weinbaus hielt. 1948 wechselte sie als wiss. Assistentin an die Landesanstalt für Rebenzüchtung in Alzey unter Georg Scheu, wo sie Kreuzungsversuche mit Vitis Sylvestris durchführte, die Scheu in den Auenwäldern am Oberrhein gesammelt hatte. Ziel war, die Resistenz der Wildreben in das Erbgut der europäischen Edelreben einzubringen. Da Scheu ihr beschied, mit einem Dr. phil. „wirst Du bei uns nichts, bei uns muss man einen rer. nat. haben“, entschloss sie sich zu einer zweiten Dissertation mit dem Thema „Evolution der Vitaceen“ zur Herkunft, Entwicklung und Verbreitung der Rebengewächse. Ihre Forschungsarbeit schloss sie zwar ab, doch da Scheu im November 1949 verstarb, konnte R. die mündliche Promotionsprüfung nicht ablegen. Stattdessen bildete sie sich in Weinsberg im Fach Weinchemie fort, veröffentlichte parallel die wichtigsten Ergebnisse ihrer zweiten Dissertation und übernahm 1951 die Leitung des weinchemischen Labors der Remstalkellerei in Beutelsbach. 1953 heiratete sie den Zahnarzt Dr. Paul Riede, 1954 kam ihre erste Tochter, Eva, zur Welt.
1964 trat R. in die CDU ein und wurde stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbandes Waiblingen. 1968 wurde sie in den Gemeinderat, 1971 in den Kreistag gewählt. Seit 1968 war sie Vorsitzende der CDU-Bezirksfrauenvereinigung Nordwürttemberg sowie Mitglied im Landes- und Bundesvorstand der CDU-Frauenvereinigung. Von 1972 bis 1976 und 1977 bis 1980 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages. Als Parlamentarierin engagierte sich R. im Petitionsausschuss, kümmerte sich unaufhörlich um die Sorgen und Nöte der Bürger, was ihr den Spitznamen „Notrufsäule der Nation“ einbrachte. Zu ihren Schwerpunkten gehörte die Familien- und Frauenpolitik, R. kämpfte für mehr Wertschätzung der Arbeit der Hausfrau, Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie für längere Ladenöffnungszeiten.
Der Wein prägte auch ihre politische Tätigkeit: Sie war Weinsachverständige im Ausschuss für Landwirtschaft und Forsten. Für die Weinkultur setzte sie sich dabei auf vielfältige Weise ein, im Großen wie im Kleinen. R. war an der Weingesetzgebung beteiligt, engagierte sich für den Winzerstand, machte sich für die Verbesserung der Weinqualität stark oder regte Sonderbriefmarken zum Thema Weinbau an. Sie förderte das Ansehen des Württemberger Weins, wehrte alle Versuche ab, das schwäbische Viertele aus der Schankgefäßverordnung zu streichen und organisierte als treffsichere Verkosterin unzählige Weinproben, insbesondere bei der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft (DPG).
1972 wurde R. als erste Frau in die Qualitätsweinprüfungskommission berufen, der sie 20 Jahre lang angehörte. R. war zudem in Radio- und Fernsehsendungen gefragt, wo sie Rede und Antwort zum Wein stand.
R. saß darüber hinaus im Ausschuss der Landesstiftung „Hilfe für Familien in Not“ und der Bundesstiftung „Hilfe für Mutter und Kind“. In ihrem Heimatort gründete sie den katholischen Frauenbund und das Hauspflegewerk und war Mitglied im katholischen Kirchengemeinderat.
Ehrungen:
1980 Goldene Ehrennadel des Württembergischen Weinbauverbands
1982 Bundesverdienstkreuz am Bande
1983 Bundesverdienstkreuz Erster Klasse
1989 Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg
2004 Ehrenmedaille der Stadt Fellbach
2004 Die Remstalkellerei widmete R. für ihre Verdienste um die Weinwirtschaft ein Holzfass mit ihrem Portrait
Veröffentlichungen:
- Das Weinbaugebiet östlich des unteren Neckars zwischen Marbach und Gundelsheim, phil. Diss. Universität Tübingen 1947.
- Klenk, Ernst; Nagy, Josef; Riede, Paula: Künstliche Beregnung von Rebkulturen (Schriftenreihe der Württ. Lehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau Weinsberg 1), Ludwigsburg 1948.
- Die geschichtliche Entwicklung des Weinbaus am unteren Neckar. In: Der Weinbau. Wissenschaftliche Beihefte 2, Mainz 1948, S. 40 – 51.
- Das schwäbische Weinberghäuschen. Eine Besonderheit unserer Landschaft. In: Heilbronner Stimme 18. September 1948.
- Untersuchungen zur direkten Bekämpfung der Reblaus Phylloxera. In: Das Weinblatt. Allgemeine Deutsche Weinfachzeitung Nr. 12, 19. März 1949, S. 212/213.
- Heimat und Verbreitung der Vitaceen. In: Das Weinblatt. Allgemeine Deutsche Weinfachzeitung Nr. 28, 9. Juli 1949, S. 525.
- Das Heilbronner Weingärtnerhaus. In: Heilbronner Stimme 11. August 1949.
- Die Entwicklung des württembergischen Weinbaus und sein jetziger Stand. In: Schwäbische Heimat 2/1951, S. 175 – 183.
- Seit wann trinkt man am Neckar Wein? In: Die Natur 75 (1967), S. 150 – 152.
- Weinprobe in Fellbach. Ein Weinbuch mit Zeichnungen von Asta Ruth, Kunstverlag Daco Günter Bläse, Stuttgart 1992.
Quellen:
- Auskünfte der Familie Riede, insb. Dr. Matthias Riede, Oeffingen.
- Weitbrecht, Susanne: Interview mit Dr. Paula Riede. In: 100 Jahre Frauenstudium an der Universität Tübingen 1904 bis 2004. Historischer Überblick, Zeitzeuginnenberichte und Zeitdokumente, hg. vom Gleichstellungsbüro der Universität Tübingen, Tübingen 2007, S. 158 – 184.
- Katz, Gabriele: Frau und Beruf: die Entwicklung weiblicher Erwerbsarbeit in Fellbach, Schmiden und Oeffingen in den Jahren 1900 bis 1955, hg. von der Gleichstellungsstelle der Stadt Fellbach, Filderstadt 2006, S. 112/113.
- Ehrenmedaille für Weinexpertin und „Notrufsäule der Nation“, Fellbacher Stadtanzeiger, 5. Februar 2004.
- Hochreuther, Ina: Frauen im Parlament. Südwestdeutsche Abgeordnete seit 1919, hg. vom Landtag Baden-Württemberg und der Landeszentrale für Politische Bildung Baden-Württemberg, Stuttgart 1992, S. 211/212.
- Plenarprotokolle des Bundestags im Dokumentations- und Informationssystem für Parlamentsmaterialien (DIP) unter https://dip.bundestag.de/ (abgerufen am 9. Oktober 2024).
Bildquelle: Mit freundlicher Genehmigung der Familie Riede
Christine Krämer, Stuttgart, Oktober 2024
Annegret REH-GARTNER, Weingutsleiterin
* 10.10.1954 in Bernkastel-Kues
† 3.10.2016 in Trier
Vater: Günter Reh (1928 – 2014), Kaufmann, Weingutsbesitzer
Mutter: Käthi Reh geb. Stelten (1929 – 2012)
Geschwister: Katharina Reh-Tessmann, Carl Reh, Nick Reh und Eva Reh-Siddle
⚭ 1988 Gerhard Gartner (1939 – 2019), Spitzengastronom, Zwei-Sterne-Koch in Aachen
Annegret Reh-Gartner entstammte der Leiwener Weinhändlerfamilie Reh. Nach dem Gymnasium in Trier führte sie ihre Vorliebe für Sprachen für zwei Jahre an das English College in Montreux, anschließend arbeitete R.-G. in der Marketingabteilung bei Nestlé und besuchte von 1973 bis 1977 die École Lemania in Lausanne. Von 1977 bis 1979 war sie bei einer Grundstücksverwaltung in Krefeld angestellt.
Als ihr Vater Günther Reh 1978 das traditionsreiche Weingut Reichsgraf von Kesselstatt erwarb, begann sie sich für den Weinbau zu interessieren. Sie absolvierte 1979 bis 1981 Praktika bei den Weingütern Wegeler, Schloss Reinhartshausen und Deinhard, arbeitete im Marketing und Verkauf für das Weingut Pieroth in Chicago und ab 1982 im Weingut Reichsgraf von Kesselstatt.
1983 übernahm sie die Geschäftsführung des Weinguts. Anfangs musste sie gegen Widerstände und Vorurteile kämpfen, denn dass eine junge Frau ein solches Traditionsweingut führte, war in den 1980er Jahren noch eine Ausnahme.
Der Betrieb setzte sich aus vier vormaligen Trierer Klosterweingütern mit berühmten Weinlagen an Mosel, Saar und Ruwer zusammen. Ein wichtiger Schritt war die konsequente Verkleinerung auf unter 50 Hektar. R.-G. stieß weniger günstig gelegene Parzellen ab, um die Qualität zu steigern und sich auf die Spitzenlagen zu konzentrieren, darunter die vier Hektar umfassende Monopollage Josephshöfer, ein großer Anteil am Scharzhofberg sowie Parzellen in den besten Lagen der Mittelmosel wie Bernkasteler Doctor, Brauneberger Juffer Sonnenuhr, Wehlener Sonnenuhr und Piesporter Goldtröpfchen oder im Kaseler Nies‘chen an der Ruwer. R.-G. setzte auf Spontanvergärung und schon früh legte sie ein besonderes Augenmerk auf trockene Weine – sie war eine der ersten, die es wagte, an der Mosel Große Gewächse abzufüllen. Überhaupt waren ihre Weine stets großartige Speisenbegleiter. 2003 war es R.-G., die in einem Grundsatzverfahren die Verwendung der Geschmacksangabe „feinherb“ auf dem Etikett erstritt. Sie verwendete die Angabe seit 1998 für Rieslinge, deren moderate Restsüße durch feine Säure abgepuffert war und die einem charakteristischen Geschmacksbild entsprachen. Das Urteil blieb zwar weinrechtlich umstritten, doch der Begriff „feinherb“ etablierte sich.
Ihr konsequentes Qualitätsstreben wurde belohnt mit der Aufnahme des Weinguts in den Großen Ring (2005) und in den VDP (2005). R.-G. hatte 1999 den Betriebssitz aus dem barocken Palais Kesselstatt in Trier nach Schloss Marienlay in Morscheid verlegt, um Büro und Produktion an einem Ort zusammenzuführen und Kunden besser betreuen zu können. Das 2016 neu errichtete Kelterhaus konnte sie noch planen.
R.-G. war eine engagierte Botschafterin für den deutschen Riesling und trug erheblich zum Ansehen des Deutschen Weins in der Welt bei. Von Anfang an hatte sie auf den Export gesetzt, und das in einer Zeit, als es um die Reputation des Moselweins nicht zum Besten stand. Ihre internationalen Kontakte, ihre Reisefreudigkeit und ihre Sprachkenntnisse halfen dabei, vor allem aber überzeugte sie durch ihr gewinnendes Wesen, ihre liebenswürdige Art und ihre positive Ausstrahlung. R.-G. leitete das Weingut Reichsgraf von Kesselstatt, das sich im mehrheitlichen Besitz der Schloss Wachenheim AG befindet, mit Weitsicht und pflegte einen ausgesprochen kooperativen Führungsstil. Sie konnte stets zuhören und scheute sich nicht, Verantwortung in die Hände jüngerer Mitarbeiter zu legen. Sie erlag im Oktober 2016 einem schweren Krebsleiden.
Auszeichnungen:
Winzerin des Jahres 1989 und 2011, Nominierung 2001 und 2005.
Quellen
- Auskünfte von Katharina Reh-Tessmann
- Persönlich bekannt
- Nachrufe u. a. in Falstaff, im Wine Spectator und von Jancis Robinson.
- Pigott, Stuart et al.: Wein spricht Deutsch, Frankfurt am Main 2007.
- Koch, Hans-Jörg: „Feinherb“-Prozess beendet – was nun? In: Der Deutsche Weinbau 9/2003, S. 36/37.
- Bildquelle: Mit freundlicher Genehmigung der Familie Riede
Christine Krämer, Stuttgart, Oktober 2024