Ralf Frenzel (Hrsg.):
Bürgerspital Würzburg.

Bürgerspital Würzburg

Tre Torri Verlag, Wiesbaden 2016. 224 Seiten.
ISBN 978-3-944628-87-5. EUR 49,90

Die zum 700-jährigen Bestehen des Bürgerspitals zum Heiligen Geist in Würzburg erschienene, opulent bebilderte Festschrift haben der am Staatsarchiv Wertheim tätige Historiker Robert Meier und die Journalisten Daniel Deckers, Rainer Schäfer und Michael Schmidt verfasst. Ein Beitrag, der sich mit den Baulichkeiten der Bürgerspitalstiftung befasst, stammt von dem Architekturkritiker Gerwin Zohlen. Die Texte sind durchweg kenntnisreich und auf solider Grundlage geschrieben und informieren umfassend über die wechselvolle Geschichte zum einen des Spitals, zum anderen des zu ihm gehörenden renommierten Weinguts. Allerdings fallen gewisse Redundanzen und Wiederholungen auf. Am deutlichsten sind sie zwischen dem Beitrag „Würzburg und der Stein“ und den von Meier und Deckers geschriebenen Teilen (vgl. das S. 190 Gesagte mit S. 17 f., 99, 102 f., und 109); aber vielleicht ist dieser Abschnitt auch als Zusammenfassung des Buches gedacht.
Mit voller Berechtigung wird von Deckers, der inzwischen so etwas wie der Haushistoriker des Verbands der Deutschen Prädikatsweingüter (VDP) geworden ist, in seinem mitunter recht weit ausholenden Teil über die Geschichte des Weinguts herausgestellt, dass das Bürgerspital im Jahre 1718 zum Ursprung der Originalabfüllung (in versiegelten Bocksbeutelflaschen) wurde. Auch ist seine Beobachtung interessant, dass der eigentliche Wegbereiter des Qualitätsanbaus in Franken nicht Sebastian Englerth (1804-1880) gewesen sei, sondern der eine Generation ältere Peter Ungemach (1786-1852), dem das Bürgerspital samt seinem Weingut von 1825 bis 1851 unterstand (S. 111).
Allgemein sehr ordentlich gestaltet und lektoriert, fallen hingegen bei vollständiger Lektüre doch einige Details auf, die unstimmig sind oder fragen lassen, ob den Autoren die von ihnen geschriebenen Beiträge wechselseitig bekannt waren. Im Vorwort liest man, „die Kombination aus einer Stiftung, deren Zweck die Betreuung und Pflege älterer Menschen ist, und einem Weingut“ sei „einzigartig“. Es war aber gerade das Bürgerspital, von dem im Jahre 1994 der Impuls ausging, der zur Gründung „Vereinigung der Europäischen Stiftungsweingüter e.V.“ führte, die derzeit 16 vergleichbare Stiftungen umfasst (und in Frankreich gibt es deren noch weitere, fast dreißig an der Zahl). Ein Hinweis darauf fehlt im Buch. S. 30 findet sich ganzseitig die Reproduktion einer Handschrift, die in einer Initiale einen „Bocksbeutel von 1726“ zeigen soll. Leider ermangelt es an weiteren Angaben zu dieser Handschrift; auch im Abbildungsverzeichnis erhält man keine weiteren Hinweise. S. 90 taucht ein „Bauingenieur Julius Echter“ auf; der Fürstbischof diesen Namens (1545 – 1617) war ein gestrenger Herr, er hat viel gebaut – aber er hatte dafür seine Ingenieure. S. 108 findet sich ein Hinweis darauf, dass der Ebracher Abt Alberich Degen den Silvaner im Würzburger Stein hat pflanzen lassen (weshalb die Lage Stein den Anspruch erheben kann, eine der beiden Wiegen des Silvaners in Franken zu sein; das hätte man im entsprechenden Teil über den Lagenbesitz des Bürgerspitals durchaus herausstellen können); als Beleg dafür wird angegeben „vgl. Dohna 2015“. Eine solche Veröffentlichung wird im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt und ist dem Rezensenten unbekannt (vgl. aber Schriften zur Weingeschichte 185, Wiesbaden 2014). S. 109 liest man, das Bürgerspital werde „fälschlicherweise als katholisch“ bezeichnet, doch noch die Satzung von 1954 bestimmte in § 1: „Die Stiftung Bürgerspital zum Heiligen Geist ist eine katholische Wohltätigkeitsstiftung“ (S. 51). S. 133 wird angegeben, ein 1920er Würzburger Neuberg aus dem Bürgerspital habe bei dem Wiesbadener Weinhändler Ruthe 1926 „drei Mark“ gekostet. Die unmittelbar daneben S. 132 reproduzierte Preisliste weist für den Wein 3,50 Mark pro Flasche aus. Nicht wenig mehr um diese Zeit. Die im Buch abgebildeten und ausgewerteten historischen Weinkarten und Preislisten stammen alle aus dem „Archiv VDP, Mainz“; die von unserer Gesellschaft digitalisierte und im Internet zugängliche „Sammlung Rauscher“ mit zahlreichen anderen alten Weinkarten und Preislisten blieb leider unberücksichtigt. S. 160 f wird behauptet, der jetzige Betriebsleiter des Bürgerspitalweinguts sei hinsichtlich des Bockbeutels ein „Traditionalist“; wie immer man darüber denkt: S. 198 und 201 f. sind die Weine, die er inzwischen (seit 2011) in Schlegelflaschen hat abfüllen lassen, abgebildet. S. 166 bzw. S. 180 liest man, dass die drei großen Eigentümer im Würzburger Stein „bei der Europäischen Union“ den Antrag gestellt haben, ein Teilstück dieser Lage, den „Stein-Berg“, als „geografische Ursprungsbezeichnung“ anzuerkennen. Der Antrag auf eine „geschützte geografische Ursprungsbezeichnung“ (g.g.U.) ist freilich bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) in Bonn zu stellen. „Mild und lieblich“ bedeutete 1925 bei Weinen, wie der Text auf S. 201 meint, sicher nicht den Gegensatz zu trocken, sondern eine milde Säure („ohne alle Rauheit“) in trockenen Weinen. Störend ist insgesamt, dass im Unterschied zum Beitrag von Meier (wo es Endnoten gibt) im Beitrag von Deckers die Nachweise aus der Literatur im laufenden Text sich befinden.
All dieses sind aber letztlich Petitessen. Sie schmälern nicht den Informationsgehalt und das Lesevergnügen an dem Buch, das dort, wo es um Personenportraits geht, auch recht lebendig geschrieben ist. Wenige Weingüter in Deutschland können Vergleichbares aufweisen (Schloss Johannisberg, 2001; Gut Hermannsberg, 2012).
Wenn man jedoch S. 146 zu Ende dieses Beitrags ein Zitat aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von 1983 liest: „Das Weingut steht als Lieferant hochwertiger Weine in der vorderen Reihe des deutschen Weinbaus. Der Direktor der Stiftung Bürgerspital zum Heiligen Geist, Heinz Zeller, und der Weingut-Oberamtsrat Rudolf Frieß wachen darüber, dass die Bürgerspitalweine bleiben, was sie seit langem sind: sortentypisch ausgebaute, körperreiche und charaktervolle Frankenweine der besten Art“, und dazu die Schlussbemerkung von Deckers: „Die Namen haben sich geändert, das Urteil bleibt“, auf der nächsten Textseite (S. 153, dazwischen nur Abbildungen) im Beitrag von Schäfer aber dann, 2007 habe das „allgemeine Urteil“ gelautet, das Bürgerspital gälte in der Branche als „schwerfällig und wenig zielstrebig, aus besten Möglichkeiten werde zu wenig gemacht“, dann reibt man sich doch verwundert die Augen über den damit angedeuteten Qualitätsverfall innerhalb von etwa 25 Jahren. Wird hier nicht zu dick aufgetragen?
Gewiss, es spielen betriebswirtschaftliche Faktoren in jüngster Zeit eine größere und auch die ihnen zukommende Rolle. Der jetzige Betriebsleiter selbst betont freilich mehr die Kontinuität als die von den „Kennern“ (S. 153) postulierte Epochengrenze und sagt: „Unsere heutigen Erfolge sind aber nur deshalb möglich, weil sie auf den außerordentlichen Leistungen der früheren Weingutsdirektoren (…) aufbauen können.“ (S. 163) Das ist nicht nur reine Freundlichkeit gegenüber den Vorgängern. Was diese Leistungen waren, ist denn auch in den anderen Beiträgen des Buches nachzulesen: Erstmals im deutschen Weinbau wurde in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts im Weingut des Bürgerspitals erhoben, für welche Arbeitsgänge welcher zeitliche Aufwand zu kalkulieren ist (S. 142). Ein ganz entscheidender Schritt betriebswirtschaftlicher Art. In den frühen siebziger Jahren war das Bürgerspital einer der ersten deutschen Betriebe, welcher in seinen Neuanlagen mit der engen Bestockung begann, womit nicht nur, wie bei Deckers S. 145 zu lesen, die Stockbelastung geringer gehalten werden kann und der Düngerbedarf sich verringert. Eng gepflanzte Reben stehen in Nahrungsmittelkonkurrenz und produzieren weniger, aber extraktreichere Trauben; außerdem ist die Holzreife besser. Für die heute erwünschte Weinqualität ist das unerlässlich. Eine weitere wichtige Voraussetzung waren die 1982 bis 1984 getätigten und baulich sehr geglückten Investitionen in die Kelleranlagen; sie werden durch Zohlen S. 69 beschrieben. Es fragt sich angesichts des harschen und m.E. oberflächlichen Urteils über den Beginn einer „neuen Zeitrechnung“ seit 2007, ob sich der Autor genügend mit der jüngeren Geschichte des Weinguts befasst hat. Und so stellt man das schöne Buch doch etwas ernüchtert ins Bücherregal. Was die Geschichte der letzten Jahrzehnte anbelangt, ist es keine Glanzleistung historischer Objektivität.

Verfasser: Prof. Dr. Hans Reinhard Seeliger, Rottenburg
Aus: Mitteilung der GGW 3/2016, S. 32-34

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